Rockabilly
rules ok
Dillemuth: Ich kam '79 aus Nürnberg, also aus der Provinz
nach Düsseldorf und war völlig erstaunt was, vor der Akademie,
in der Ratinger Straße passierte. Und einer, der da schon optisch
am meisten aufgefallen ist, warst Du, Gerhard. Aber du warst für
uns schon "älteres Semester" und wir haben uns nie kennengelernt.
Also von vorn, wann hast Du denn in Düsseldorf angefangen?
Theewen: Ich bin 1976 direkt nach dem Abitur in Köln auf die
Akademie nach Düsseldorf gegangen, also Schule, Abitur, Elternhaus
verlassen, und dann gleich in eine fremde Stadt, - auch wenn sie nur 40
Kilometer weg ist -, um da zu wohnen, in die nächste Ausbildungsstätte
zu gehen, die sich auch als solche versteht, um dann also schließlich
festzustellen, daß man da eigentlich nichts lernen kann. Ich kann
da zwar Leute treffen und ich kann mich mit denen unterhalten, aber ich
kann in dieser Institution nichts lernen. So. Im Prinzip ist also dieses
Jahr 1976 bis '77 mit Sicherheit 'ne Krisensituation für mich gewesen,
auch wenn sich das damals für mich nicht so bewußt dargestellt
hat, wo ich vielleicht die Flucht nach vorne, oder nach hinten, wie man
das auch immer bezeichnen mag, angetreten habe und gesagt habe: o.k.,
ich befinde mich jetzt in 'ner Situation, die unbefriedigend ist.
D: Bist Du dann gleich in die Rockabilly-Szene eingestiegen?
T: Nein, die gab's ja noch gar nicht. Also klar, die Musik gab es schon,
aber die Szene drum herum mußte ich erst noch gründen.
D: Hast Du damals dieses ganze Outfit, also von der Schmalzlocke bis zur
Kreppsohle, alles schon so getragen?
T: Nein. Es wurde für mich erst sinnvoll, diese neue Identität
als "Pretty Teddy"...
Ruff: Das warst du?
T: Das war ich. Ist heute nix mehr von übrig geblieben (lacht). ...Also
diese Teddyboy-Identität anzunehmen, weil ich nach den beiden Probesemestern
an der Akademie festgestellt hatte, daß der Gerhard Theewen, im
naiven Glauben, auf einer Kunstakademie zum Künstler ausgebildet
werden zu können, sich getäuscht hat. In dem Moment, in dem
ich in die Rinke-Klasse übernommen wurde, ist mir klar geworden,
daß Inhalt und Grundlage meiner Arbeit das zu sein hat, was ich
in meinem Leben als Lücke empfunden habe: die Zeit in der ich geboren
wurde, die Fünfziger Jahre.
D: Dann hast Du angefangen, das zu leben?
T: Ich hab' dann auch versucht, nach außen hin zu dokumentieren:
Hier ist eigentlich ein ganz neues Lebewesen entstanden, das sich speist
sowohl aus den Lebensumständen, als auch aus der Arbeit, die in der
Lebenszeit dieses Wesens entsteht, das ja nicht aus unserer Zeit ist und
im Prinzip wie Kunstgeschichte betrachtet werden kann, weil das, was an
Bildern da ist, alt ist und schon Zeit hinter sich gelassen hat.
D: Es hätte ja irgendwelche Künstler- Bilder geben können,
an denen man sich orientieren konnte. Es gab bestimmt Informationen über
Minimal, Konzeptkunst in Amerika usw. Warum hast Du nicht einfach, was
ja akademietypisch wäre, im "zeitgenössischen Stil"
gearbeitet?
T: Die Informationen waren sicher da, aber da war mir zu wenig Musik drin.
D: Hast du deinen Wandel als Kunstaktion gesehn?
T: Die Tatsache, daß ich ab diesem Zeitpunkt keine eigenen Bildideen
mehr entwickelt habe, sondern authentisches Bildmaterial der 50er und
60er Jahre reproduziert habe, sollte auch in den Lebensumständen
meiner Person sichtbar werden, aber erst mal als eine ganz alltägliche
Setzung......
D: ... es gibt keine neuen Identitäten mehr, zieh ich mir also eine
alte wie eine Jacke, über?
T: Aber es sollte schon eine sein, die mir paßt und in der ich mich
wohlfühle, also 30er Jahre, Art Deco und Swing wären nicht so
mein Ding gewesen. Das ist mit Sicherheit erstmal über Rockabilly
Musik gegangen und zum anderen dann eben auch über diese Mischung
aus 'schrill' und 'miefig', eben diese 50er Jahre-Formen, dieses Formenvokabular.
R: Hast Du Dir die Wohnung dann auch vom Sperrmüll eingerichtet,
oder vom Trödler?
D: Also wie die Wohnung Deiner Eltern?
T: Eben nicht. Wenn die so ausgesehen hätte, um Gottes Willen! Die
hätte ich nicht nochmals erleben wollen. Aber da sie eben nicht so
ausgesehen hat, entstand für mich dieses Nachholbedürfnis und
die Möglichkeit, daraus etwas ganz Neues zu machen, etwas, das total
anders ist als das, wie Gleichaltrige und erst recht meine Kommilitonen
zu dieser Zeit ihren Lebensumraum und ihre Kunst gestaltet haben.
***
D: Wie kam es denn, daß Du offensichtlich sehr früh dran warst
mit einem .... sagen wir ... Gespür für das, was ein paar Jahre
später "Fifties Revival" genannt wurde? Es gab dann ja noch
mehrere solcher Einbrüche, Revivalsituationen. Anfang der 90er konnte
man sagen, die gehen jetzt auf die 70er Jahre zurück.
T: Ja.
D: Ist es ein Prinzip, das man zu sehen meint, oder wie hat sich das dann...
T: Also sagen wir mal so: Für mich hat die ganze Revivalgeschichte
aufgehört interessant zu sein, als diese Modefirma Fiorucci Anfang
der 80er Jahre angefangen hat, ein Fifties-Revival marktmäßig
auszubreiten und zu pushen und dann habe ich gedacht, näh, also, das
war auch diese Situation mit "Grease" und John Travolta...
R: Wann waren denn zum Beispiel Stray Cats in der Hitparade?
T: Das war '80, '81, diese Zeit. Und die haben ja auch eine sehr sehr
lange Pause gehabt, bis die j e t z t wieder, sozusagen 'n Revival-Revival
erlebt haben. Für mich hat das eigentlich aufgehört interessant
zu sein, für mich persönlich, als das vermarktet wurde. Denn
es hätte nur zwei Möglichkeiten gegeben: entweder ich hätte
die Chance gehabt, mich selber mitvermarkten zu lassen oder mich selber
zu vermarkten, um damit Geld zu verdienen; oder aber das nicht zu schaffen
und dann, sozusagen als unterste Kategorie, mißverstanden zu werden
als jemand, der in dieses Revival eingestiegen ist. Und um dem zu entgehen,
habe ich dann im Grunde genommen einen Schlußstrich druntergezogen,
bin sozusagen aus dieser Teddyboy-Phase herausgewachsen. Anfang der 80er
Jahre hat sich im Prinzip meine Vorliebe für die 50er Jahre bildmäßig
erledigt. Meine Vorlieben konnte ich ab dann natürlich auch weiterhin
befriedigen durch das Reproduzieren klassischer Vorlagen aus dem Kunstbereich.
Also, dieses Sich-Verkleiden, Sich-Hineinleben in andere, auch soziale
Welten, das brauchte ich gar nicht mehr. Ich konnte dann auf einmal trennen:
ich bin also Gerhard Theewen, 1955 geboren, mache Kunst, aber denk' mir
nichts mehr aus, sondern find' das, was ich brauche. So. Und dafür
brauche ich mir keine Pomade mehr in die Haare zu schmieren und keine
Kreppsohlenschuhe zu tragen und die und die Musik zu hören, sondern
ich kann tun und lassen was ich will. Meine Arbeit besteht darin, das
zu machen und das zu lassen. Basta.
D: So hättest Du auch schon vorher denken können. Hat denn das
Ted-Sein Dein Selbstbewußtsein so gestärkt, oder war es eine
Art Abnabelung vom Elternhaus, dadurch, daß Du Dich in die Jugendzeit
Deiner Eltern reingelebt hast?
T: Vielleicht beides....
D: Ich erinnere mich, daß Du damals, '79, immer mit so 'ner Gruppe
unterwegs warst. Wie ist denn das gekommen, hast Du Überzeugungsarbeit
geleistet?
T: Ich denke, daß ich mich durch mein Outfit als Kontrastfigur zu
der damals schon vorhandenen Punkbewegung angeboten habe. Ich hab da nicht
missioniert. Die, die kamen, waren selbst überzeugt.
D: Gab's da stilistische oder inhaltliche Auseinandersetzungen in deiner
Szene?
T: Nee, eigentlich nicht. Also die Szene, in der ich mich bewegt hab',
ich spreche jetzt von der Teddyboy-Szene, da hat's diese Diskussion überhaupt
nicht gegeben. Für die war die Tatsache, daß ich an der Kunstakademie
eingeschrieben war, total irrelevant. Genauso wie für mich irrelevant
war, daß der eine bei einer Baukranfirma Lehrling war oder der andere
aufs Gymnasium ging. Unsere Gruppe bestand eigentlich n u r im Hinblick
auf dieses Lebensgefühl und die Musik, die wir gehört haben
und die Biere, die wir getrunken haben. In der Akademie oder in der Kunstszene
war es eigentlich relativ unbedeutend, daß ich in meiner Lebenszeit
die und die Musik hörte oder daß ich mir jetzt Pomade in die
Haare schmierte oder nicht. Also da gab's im Prinzip Welten die sich,
ja, zu fast 100 Prozent überlagern, ohne sich zu durchdringen. So
würd' ich das sehen.
D: War denn in dieser Zeit die Kunst, ich meine die Akademie, überhaupt
wichtig für Dich?
T: Die Akademie als Institution hatte eigentlich nur noch durch die Mensa
Bedeutung für mich. Ich fühlte mich in der Rinke-Klasse, die
ja damals in die Karl Anton Straße ausgelagert war, wohler.
D: Da hast Du wohl viel mit den späteren "Modellbauern"
zu tun gehabt?
T: Das paßte ja auch ganz gut. Ich verwirklichte damals ja auch
so eine Art Modell, oder?
D: ....und die Becher-Klasse hast Du dann auch beeinflußt, die fotografierten
auch diese Fuffi-Architektur, oder Du Thomas, die Interieurs?
R: Bei meinen Wohnungsfotos waren zwar ein paar Fünfziger-Jahre-Interieurs
dabei, aber mit diesem Revival hatte ich nichts zu tun, ich haßte
Rock'n Roll.
D: Hast Du eigentlich von Anfang an diese Zeitung gemacht, oder
wie kam es dazu?
T: Salon habe ich erfunden als Magazin meiner künstlerischen
Vorlieben. Nummer 1 erschien am ersten April 1977, da war ich noch im
Orientierungssemester.
D: War das beeinflußt durch den Job bei der Buchhandlung
König?
T: Auf jeden Fall. In der Zeit habe ich mehr über Kunst erfahren
als dann an der Akademie.
D: Und wie kam's zu dem Namen, klingt doch nach Salon-Kunst?
T: Ja, aber auch nach Friseur- Salon, Auto-Salon, Wasch-Salon,
Pudel-Salon - ganz wichtig. Den Schriftzug habe ich von einem professionellen
Schriftenmaler schreiben lassen, der dachte, ich sei Friseur.
D: Das war dann auch nur Dein Ding, und nicht das des Clubs?
T: Nee, nee, die wußten das gar nicht. Der Salon
hatte auch mit dieser Ted-Szene eigentlich nichts zu tun.
D: Und mit dem Ratinger Hof?
T: Es gab eine Anzeige vom Ratinger Hof, die da mal drin war. Da
hatte ich so 'nen hohen Deckel, da hab' ich den gegen 'ne Anzeige getauscht
(lacht). Aber insofern war das eben kein Szeneorgan, oder 'n Fanzine oder
irgendwas, obwohl es natürlich eigentlich dann doch wieder ein Fanzine
war in Bezug auf die Kunst, die ich mochte.
D: Also nicht "Kunst und Lifestyle"?
T: Hm. Nee, eigentlich nicht. Wenn, dann ist das eigentlich nur
durch n' bißchen ungewöhnlich ausgefallene Anzeigen aufgekommen.
Die Beiträge die von mir im Salon auftauchten, sind
eigentlich Beiträge, die, ja, Probenstatus haben. Also in dem Moment,
wo ich zum Drucker fahren mußte und dann feststellte: da sind noch
'n paar Seiten frei... dann habe ich in meine Schublade gekuckt, ein paar
Fotos die zusammenpaßten, und rein. Die künstlerische Arbeit
von mir während dieser Zeit sind eigentlich die Hefte, die entstanden
sind, und nicht die Beiträge von mir.
R: Hast du die Abfolge dann bestimmt und Layout gemacht?
T: Die Abfolge ist streng alphabetisch gewesen... und Layout bestand
eigentlich nur darin, daß ...
R: ... nee, könnte ja sein, daß du dich da reinmischen
wolltest und sagen, o.k., diese Abbildung kommt vor die Abbildung, aber
da hast du es dir so einfach gemacht wie möglich, bist also alphabetisch
vorgegangen.
T: Genau. Also die Abfolge der Abbildungen innerhalb der einzelnen
Beiträge war sowieso dem jeweiligen Künstler vorbehalten, der
eben gesagt bekam: Du hast so und so viele Seiten zur Verfügung und
die gestalte jetzt bitte mal. Es gab auch nicht den Versuch, Dinge gegeneinander
zu setzen oder Spannungen zu erzeugen. Es war eine reine Dokumentation
von dem, was mir in der Zwischenzeit aufgefallen war und ich der Meinung
war: das könnte interessant sein. Das Magazin als öffentliche
Privatsammlung...
D: Ja, wer war denn drin?
T: Hauptsächlich gleichaltrige Künstler, entweder aus
dem Akademiebereich oder Namen, die mir als Notiz in Kunstzeitschriften
wie Flash Art aufgefallen sind. Die Beiträge der damals noch Unbekannteren
wie Adamski, Dahn und Oehlen wurden mit "Superstars" wie Weiner,Paolini
oder damals auch Blume in den jeweiligen Heften durch die alphabetische
Reihenfolge auf eine Ebene gebracht. Wenn man sich das heute anguckt,
wird man bei manchen Sachen natürlich die Hände über'm
Kopf zusammenschlagen. Bei manchen Sachen ist einfach das, was damals
gut war, heute immer noch gut. - Das ist das Schöne daran.
D: Wie hörte das auf?
T: Salon gab es von '77 bis 1984, das waren 11 Hefte,
und dann stellte sich heraus, daß das immer so weiter gehen könnte,
aber dann nur noch mit einer professionellen Redaktion, Anzeigen usw.
Nicht mehr von mir alleine. 1993 habe ich aber dann das Dutzend doch noch
voll gemacht - als so eine Art optischer Index. Mit 'ner kleinen Abteilung
"Ausblick in die Zukunft" oder Blick auf das, was ich so im
Moment mache, um einfach zu zeigen: Es geht weiter. Man kann sich nicht
ein Leben lang in irgendwelchen Retrospektiven oder Revivalbewegungen
aufhalten.
D: Du hast damals die Kunstszene eigentlich verlassen und bist
zur Post, und dann warst Du Kassierer bei 'ner Bank, oder?
T: Äh, scheinbar.
D: Warum?
T: Gut, die Ratinger Szene habe ich verlassen und bin in dem Moment,
wo ich wieder nach Köln gegangen bin, privat geworden. D.h., hab'
mein Leben privat gelebt und nicht mehr zur Schau gestellt, und auch die
Performance-Phase endete schlagartig mit dem Ablegen dieser Rockabilly-Attitüde.
Man hätte das ja unendlich weiterführen können und jetzt
z.B. sagen können: ich spreche hier auf'n Band und das könnte
man in diesem neuen Arbeitsfeld, an dem ich jetzt grade arbeite, nämlich
das Beschreiben von Kunst mit Worten, statt mit Bildern, auch wieder Performance
nennen, aber warum sollte ich das machen?
***
R: Wann war die Ausstellung in der CCD-Galerie?
T: Die war '86. Das war so 'ne Art, ja, im Prinzip 'ne Dokumentation einer
imaginären Fotosammlung, Klassiker der Fotografie. Alles Repros, und
meinen Begriff der Originalreproduktion hat Grasskamp dann erstmalig in
der Literatur verwendet.
R: Ich kann mich nur noch an die Ausstellung erinnern, aber nicht mehr an
andere.
T: (lacht) Es gab nicht so sehr viele Ausstellungen! Es lag aber vielleicht
auch daran, daß die Leute eigentlich Probleme damit hatten, daß
jemand kommt und das Material, das er findet, nicht großartig verändert
oder verfremdet.
Also ich meine jetzt konkret Originalität. Ich hab für mich eigentlich
'76/'77 entschieden, daß es mein Ding nicht ist über etwas zu
brüten, mir etwas auszudenken und zu realisieren und dann Jahre später
festzustellen, daß das irgend jemand ähnlich oder schon besser
gemacht hat. Deswegen war für mich eigentlich immer Arbeitsmotto: Das
Beste vom Besten ist gerade gut genug, um von mir entdeckt und reproduziert
zu werden. Also jetzt nicht im Sinne von "sich schmücken mit fremden
Federn", sondern einfach: Bilder finden, und wenn ich zitiere, dann
die Creme und nicht versuchen, Bilder zu er-finden, also halbherzige Eigenprodukte
auszubrüten.
***
D: Mich interessiert noch die Situation von '79 in der Kunststadt Düsseldorf.
Was gab es da für Möglichkeiten, was wurde produziert und dann
auch, wie verhielt sich da deine Zeitung?
T: In Oberkassel gab es Hans-Georg Ruckes, einen etwa 50-jährigen Friseur,
der in seinem Friseursalon Kunst ausstellte, von Beuys bis Uecker, unter
dem Motto "Kunst im Salon". Das hat mich natürlich total
fasziniert, ich hab' dann auch 'ne Ausstellung da gemacht mit 50er Jahre
Frisurenfotos, die auch in diesem Salon nicht als Kunst aufgefallen sind.
Da haben sich die Kundinnen wahrscheinlich gedacht: Mensch, die haben wir
doch schon irgendwann mal gesehen. Und dann wurde viel ausgestellt in der
Hildebrandtstraße, also in der Ateliersituation einiger Schüler
aus der Rinke-Klasse. Die haben auch Freunde aus anderen Städten ausgestellt.
Im Ratinger Hof ist dann auch mal versucht worden, Kunst auszustellen, aber
das hat nicht so richtig...
R: Da haben dann alle gelacht!
T: ... funktioniert. Jaja. Vor allen Dingen, weil da eigentlich klar wurde,
daß diese Dan-Flavin-Imitation an der Decke eigentlich schon zuviel
gewesen ist. Und ja, ansonsten gab's die Rundgänge in der Akademie
und an Galerieaktivitäten war für uns dieser Raum von Konrad Fischer
am wichtigsten, den später dann der Arno Kohnen übernommen hat.
Das ganze andere Zeug, Kunsthalle, Kunstverein, Kunstsammlung, Kunstmuseum
hin und wieder mal, ich weiß nicht. Thomas, wie siehst du das?
R: Ja, eigentlich ähnlich, aber bei mir war's wahrscheinlich 'n
bißchen anders, weil ich noch 'n bißchen jünger bin.
Ich bin '77 erst nach Düsseldorf gekommen und bis '79 hat sich bei
mir eben auch alles erst mal im Kopf gedreht. Ich hab' dann langsam wieder
angefangen Fotos zu machen. Das war eigentlich so, wie du das auch geschildert
hast. Die Akademie, die war zwar da, aber eigentlich nicht wichtig. Also
der Professor war nicht so wichtig, höchstens zu 20%, und zu 80%
waren dann deine Freunde wichtig, die müssen nicht unbedingt in der
gleichen Klasse gewesen sein, sondern die konnten auch irgendwo anders
sein, oder die mußten gar keine Kunststudenten sein, sondern konnten
auch irgendetwas anderes machen. Der Status, den man damals hatte, niemand
hatte eigentlich 'nen Status, niemand war berühmt, niemand war unberühmt,
sondern alle waren auf dem gleichen Level, alle waren ziemlich aktiv.
Der eine war zwar an der Akademie, hat aber künstlerisch nichts gemacht,
hat Musik gemacht, der andere war Sozialarbeiter, hat seinen Job gemacht,
hat gemalt und ist abends eben auch in den Ratinger Hof. Das war eigentlich
'ne sehr glückliche Zeit, sag' ich einfach mal, weil alle beschäftigt
waren, irgendwie waren alle beschäftigt.
D: Wo hättet Ihr denn am liebsten ausgestellt?
R: Ich weiß nicht, wir hatten eh keine Chance dazu, wie gesagt,
wir waren ja erstmal die absoluten Junioren. Was man da noch angeguckt
hat, war natürlich noch die Kunsthalle, beim Fischer in seiner Galerie,
ja, alles, was man 'n bißchen beim Buchloh gehört hat, hat
man sich angeguckt und ansonsten ... selber Ausstellungen machen eben,
selbst organisiert. Wenn man von der Hildebrandtstraße eingeladen
wurde, oder es gab ja dann danach, ich weiß gar nicht mehr wann
die Münsterstraße war, '81?, da gab's dann auch so 'n paar
Ausstellungen. Eigentlich hat man jeden Raum okkupiert, in dem man eine
Ausstellung machen konnte, in dem man seine Bilder zeigen konnte. Aber
das Wichtigste war nach wie vor der Rundgang.
T: Da war die größte Öffentlichkeit.
R: Da war einfach der ganze Haufen zusammen, da haben wir eine Woche lang
"Spaziergang gemacht".
D: Das fällt mir jetzt im Nachhinein auch erst auf, daß es
damals nicht diese "big heroes" gab. Aber '89, als ich noch
mal kurz in Düsseldorf wohnte, war das anders, im Op de Eck, wo dann
nach 'ner Vernissage der weiß eingedeckte Tisch mit Blumen für
den Künstler dastand.
R: Das ging erst mit dieser Kommerzialisierung los, als das dicke Geld
für moderne Kunst auftauchte. Da gab es dann plötzlich Besserverdienende,
aber im Hof gab es diese Starallüren eigentlich nicht. Jeder hat
seinen Kram gemacht und jeder war mit seinem Kram relativ happy. Es gab
ein paar Senior-Studenten, die schon mal 'ne Galerieausstellung hatten
oder bei 'ner größeren Gruppenausstellung dabei waren, aber
das waren dann Dinge, die man sich eigentlich auch als nächstes für
sich vorstellen konnte.
T: Das hat sich nach außen eigentlich nicht niedergeschlagen, jedenfalls
im Verhalten der Leute nicht. Leute mit diesem Bekannt-heitsgrad, wo man
sagen würde, das sind so die Helden, die würden ja gar nicht
mehr in den Ratinger Hof gehen können, die hätten da gar keine
Zeit mehr zu. Damals kam Imi Knoebel sein Bier trinken, das war schon
o.k.
R: Wie gesagt, da war ich einfach so uninformiert, da war man in dieser
komischen jugendlichen Zunft (lacht) und wußte nicht, wer jetzt
schon wie berühmt ist.
T: Ja gut, ich hab' das ja auch erst gelernt. Durch den steten Besuch
(lacht) von Szenekneipen lernt man die Szene erst kennen.
R: Ich glaube, dieses Gewühle, was es damals im Ratinger
Hof gab, das gibt's heute auch noch, aber ich weiß jetzt nicht wo.
Damals kamen eben mehrere Faktoren zusammen: zum einen war es eben die
Musik, oder eben die Ausgabe "jeder kann Musiker sein", "jeder
kann Künstler sein". Heute, wenn man Kunststudenten trifft,
dann hocken die halt auf einem Haufen und denken alle, ja, Künstler,
ich will berühmt werden, oder was weiß ich was. Sind nicht
ganz so lustig wie damals eben.
T: Ja, weil sie inzwischen auch diese Talsohle miterleben.
R: Ich weiß gar nicht, ob die Talsohle 'ne tatsächliche
Talsohle ist - das hieße ja es geht irgendwann wieder bergauf -
oder ob wir nicht in einer großen Ebene gelandet sind, auf dem Niveau
von z.B. 1975. Ich weiß nicht, ob Künstler damals gut von ihrer
Arbeit leben konnten, wenn sie nicht international bekannt waren wie die
Popartisten oder Minimalisten.
D: Wie gings denn damals in Düsseldorf weiter?
R: Ich glaube, die Situation dort hat sich durch die Erfolge und
das "erste Geld" verändert. Als wir angefangen haben, an
der Akademie zu studieren, haben wir uns damals gedacht: mit unserer Art
der Kunst, oder, wir studieren jetzt zwar Kunst, werden aber damit wahrscheinlich
kein Geld verdienen. So weit haben wir gar nicht gedacht, zumindest ich
nicht. Ich glaube ein oder zwei Kunststudentengenerationen nach uns, Mitte
bis Ende der 80er Jahre gab's schon einige Leute, die sich überlegten:
studier' ich jetzt Kunst oder studier' ich Zahnmedizin oder Grafik, weil
ich als Künstler genau so viel Geld verdienen kann wie als Zahnarzt
oder Art-Direktor.
D: Gut, das kann man vergessen. Aber vorher, wenn so viel los war,
wie Du gesagt hast, warum bekam das keine Aufmerksamkeit?
R: Da gibt's ja irgendwie die Theorie, daß die Jungs sich
auch wieder selbst organisiert haben. D.h., man nehme fünf Künstler,
der eine kann 'n bißchen schreiben, der andere kann Layout machen,
der andere kann gut reden und der andere kann so was und jeder schlägt
jeden vor oder bringt den anderen ins Gespräch, und dann gibt's so'n
Selbstläufer und sie können sich als Gruppe präsentieren,
was angeblich mit der Mühlheimer Freiheit und mit den Berliner Jungs
passierte. Parallel dazu gab's dann in New York auch wieder so 'ne Gruppe
von jungen Künstlern, die eben eine Zeitung rausgegeben haben, publiziert
haben, der eine hat 'n bißchen kuratiert und die haben sich dann
quasi auch selbst den Kick gegeben um loszuschießen. Ich weiß
jetzt nicht, ob das eben tatsächlich so stimmt wie es erzählt
wird, aber parallel dazu hat diese Kommerzialisierung eigentlich eingesetzt.
Plötzlich war einfach sehr viel Geld für Kunst da.
T: Wo dann im Prinzip auch deutlich wurde, daß Düsseldorf
zur damaligen Zeit eigentlich nicht der Nabel der Kunstwelt war.
D: ..... es war doch offensichtlich sehr spannend.
T: Ja, natürlich war viel los.
D: Aber dann, so '80, '81, '82, als neue deutsche Kunst gehyped
wurde, "Rundschau Deutschland" und alles mögliche, da war
Düsseldorf draußen.
T: Ja, das ist ein interessantes Phänomen. Nicht überall
da, wo die Musik am lautesten spielt, spielt auch die beste Musik. Aber
ich weiß nicht, ob es nicht auch mit dieser Düsseldorf-spezifischen
Mentalität zu tun hat, daß Düsseldorf immer gemeint hat,
- so nach dem Werbemotto der Stadtverwaltung, Düsseldorf als Klein-Paris
am Rhein zu definieren. Auf der einen Seite die große Klappe, so
wie in Berlin, aber auf der anderen Seite dann diese etwas kleinstädtische
Mentalität und sich doch nicht so recht zu trauen.
D: Liegt es nicht eher daran, daß es keine Repräsentation
der "Szene" nach außen gab, nichts, was andere Leute in
anderen Städten neugierig gemacht hätte - oder auch so ein paar
"Kunstweltverwalter", - Kaspar König wurde doch erst '84
bei "von hier aus" neugierig. Hätte vielleicht Salon
die Aufgabe eines Verteilers der Düsseldorfer Szene erfüllen
oder Debatten darüber anzetteln können?
T: Hätte schon, aber das Bedürfnis schien einfach nicht
da. Innerhalb von sieben Jahren sind ganz wenige Anfragen von Düsseldorfer
Künstlern gekommen, im Salon etwas zu machen. Ich wollte
es ja auch nicht als Börsentip für junge Künstler. Es war
immer meine subjektive Sicht, deshalb stand auch auf Seite 2 im Salon
immer dieser Satz: "Salon interessiert sich für
die Arbeit von...", und dann gab es eben die Künstler, die das
Heft gestaltet haben. ....... In Düsseldorf hat sich eben alles nur
auf der Ebene von Punk und Pogo abgespielt. Darüber hinaus hat sich
keine Reibung oder Diskussion ergeben über z.B. Kunst oder andere
Strategien.
D: Aber die Künstler machten doch nicht nur Punk und Pogo....
R: Man war halt damals zu blöd gewesen, hat einfach damals
nur was gemacht und nie etwas von Strategie gehört.
T: Die werden heute mehr getrimmt und Strategie bedeutet eben,
mit der Kunst Geld zu verdienen.
D: Das ist doch alles zu ausgedacht, Strategie kannst Du doch nicht
lernen.
T: Man interessiert sich doch meistens nicht für die Künstler,
die irgendwie strategisch zu großen Erfolgen gekommen sind, sondern
eher für die, die eben einfach nur ihre Sache gemacht haben und dann
eher die Verschollenen sind. Die würde man doch beachten und wiederentdecken
wollen.
D: Sag das bloß nicht zu laut.
T: Man kann nicht planen, übersehen zu werden.
***
R: Wir reden ja über die Akademie, wo junge Leute hingehen, um sogenannte
Kunst zu studieren. Ich weiß nicht, willste rauskriegen, wie effektiv
so 'ne Akademie arbeitet? Es heißt ja immer, 10% können nach
dem Studium von ihrer Arbeit leben, die haben dann so einen Status, wie
Künstler auch schon vor 150 Jahren oder vor 80 Jahren oder vor 30 Jahren.
90% werden dann entweder Lehrer oder Taxifahrer oder was weiß ich
was, und das ist nicht erstrebenswert für eine Akademie. Oder plädierst
du dafür die Akademie umzustrukturieren, daß die Effektivität
erhöht wird, daß mehr Studenten nach dem Studium von ihrer Kunst
leben können? Oder willst Du weitergehen und sagen: der Künstler
muß was ganz Anderes, Neues machen, nicht nur Bilderproduzent sein
für Sammler oder für Leute, die kunstinteressiert sind und gerne
ins Museum gehen. Willst du quasi mehr auf eine gesellschaftspolitische
Rolle des Künstlers hinaus, der nicht mehr nur seine Bilder produziert,
sondern auch andere Verantwortung trägt.
D: Nee, ich würde das anders sehen. Innerhalb einer aktuellen Kunstdiskussion
hat die Kunstakademie überhaupt keinen Stellenwert, obwohl sie laufend
junge "Künstler produziert. Man könnte eigentlich annehmen,
daß dort viel diskutiert und hinterfragt wird, aber es sind von dort
seit langem keine neuen Ideen mehr gekommen. Die Akademie ist so eine Art
Abstellgleis für Semiprominente, und was da so rauskommt, entspricht
den Mustern die man zu Genüge kennt. Die Ausbildungsstruktur wurde
zwar immer wieder einmal angegriffen, doch hat sie sich seit 1810 nie grundlegend
verändert, und sie erzeugt immer noch dasselbe Rollen-Bild vom Künstler.
Das ist mein Selbstverständnis als Künstler und daraus resultiert
meine Kunst, aber auch das Bild, das andere, die Gesellschaft, vom Künstler
haben, ist durch die Akademie geprägt. Wir sind also in einer Art Teufelskreis,
und da muß man eben vorne aussteigen. Also nicht da, wo alte Herren
die Akademie und die Kunst bestimmen, sondern da, wo sich Studenten über
die Bedingungen, die sie prägen, bewußt werden.
Gut, wir reden hier über vergangene Zeiten und das ist vielleicht
eine blöde Idee, aber war denn die so interessante Situation damals
in der Ratinger Straße durch die Akademie stimuliert? Dieser staatliche
Aufwand, so und soviel Gelder in eine Riesen-Akademie zu stecken, um junge
Leute zur Kunst, zu Kunstproduzenten zu erziehen, wie verhält sich
der denn zu diesem "Anderen" außerhalb? Wo kriegt man
denn sein Kunstbild heute, ach, sein Künstlerbild mit?
R: Ich komme ja aus dem Schwarzwald, und es gibt viele Möglichkeiten,
eine Fotografenausbildung zu machen; ich hätte z.B. nach Pforzheim
an die Fachhochschule gehen können, da wär' ich dann vielleicht
Industrie- oder Werbefotograf geworden, ich hab ja schon immer hübsche
Fotos gemacht...
D: .... hast du schon vorher fotografiert?
R: Ja, ich war ein echter Amateurfotograf.
D: Hast du die noch?
R: Ich hab' mich mit meinen 20 schönsten Kleinbilddias an der Akademie
beworben, die gibt's noch. - Wie gesagt, ich bin nicht an die Akademie
gegangen, um Künstler zu werden, sondern um Fotografie zu studieren.
Mit Kunst hatte ich eh' nichts am Hut. Wär' ich auf diese Fachhochschule
gegangen, dann wär' ich jetzt wahrscheinlich ein guter Industriefotograf,
ich würde nebenher noch meine sogenannte (lacht) Hobbyfotografie
betreiben und hätte ein schönes Studio in Süddeutschland.
Weil ich damals aber so naiv war und geglaubt habe, auf 'ner Kunstakademie
werden die schönsten Fotos gemacht, hab' ich mich da beworben und
ich hatte absolutes Glück, daß ich genau nach Düsseldorf
und genau zu Becher gekommen bin.
D: Aber dein Künstlerbild, ist das durch den Becher oder das andere
Umfeld geprägt worden...
R: Eben durch beides.
D: ...und du hattest das Glück, daß dann plötzlich eine
andere Form möglich war, daß ein erweitertes Bild davon, was
ein Fotograf sein kann, akzeptiert wurde.
R: Ja, wie gesagt, ich hatte anfangs ganz andere Vorstellungen von Fotografie
oder was Fotografie sein soll. Ich dachte eben auch: Zeitschrift ist das
Medium für Fotografie, sonst nix. Als Original, Kunstobjekt, limitiert,
nur 5 oder 6 Mal existierend, so was konnte ich mir nicht vorstellen.
Das kam natürlich aus meiner Generation, wenn die Alten sagten: "wie,
Fotografie ist Kunst? - Du spinnst wohl." Dann hab ich eben gesagt:
"Öl ist altmodisch, das machen wir nicht mehr".
Für mich, als ich hier angefangen hab', gings natürlich auch,
rumms, bergab. Da wußte ich nicht mehr, was ich machen sollte. Alles,
was ich bisher gut fand, war Scheiße, und dann muß man sich
halt so nach und nach aufrappeln. Die Akademie als solche hat mich einmal
entlastet von den Sorgen meiner Eltern, also ich hab' denen nicht gesagt,
daß ich Freie Kunst studiere, sondern daß ich Fotografie studiere,
was ja ein anständigerer Beruf ist. Und dann sind eben diese 5 Jahre
Kunststudium einfach ein sehr guter Rahmen, auch Bafög-mäßig,
du kriegst zumindest monatliches, minimales Geld
D: Also Du: 'pro accademia'.
R: ... Akademie weil... Ich hab' manchmal so Anrufe, wo mich irgendwelche
jungen Leute fragen. Die wollen jetzt Fotografie studieren und ob das
gut wär' auf der Akademie, oder ob sie irgendwo anders hin sollen...
Dann muß ich denen jedesmal auch sagen, daß, wenn sie was
lernen wollen oder wenn sie 'nen Lehrer brauchen, dann sollen sie eben
nicht auf 'ne Akademie gehen, sondern auf 'ne Fachhochschule, wo sie eben
lernen, ein Ei vor einem weißen Hintergrund zu fotografieren, wo
sie die ganze Technik lernen. Wenn sie auf 'ne Akademie gehen, müssen
sie sich drauf einstellen, daß sie wirklich (lacht) alleine gelassen
sind, oder verlassen sind. Daß sie da in Löcher reinfallen
können, wo sie nicht mehr rauskommen, oder ...
T: Also, wenn die Akademie, sag' ich jetzt mal, die Größe des
Ratinger Hofs hätte, oder wenn der Ratinger Hof Akademie gewesen
wäre, dann hätte man diese Akademie nutzen können, um einen
Apparat von der Größe der Kunstakademie zu steuern oder zu
benutzen oder zu aktivieren, aber mit Sicherheit nicht umgekehrt. Weil
dieser Riesenapparat viel zu träge ist. So 'ne kleine Zelle. Das
läuft auch darauf hinaus, was ich mit den anderen Institutionen wie
den Museen im Kopf habe, daß diese ganzen öffentlich subventionierten
und öffentlich gesteuerten Kunstvermittlungs- und Kunstausbildungsbetriebe
eigentlich alle Dinosaurierformat haben und deswegen überkommen sind.
Die müssen kleiner, die müssen schnittiger werden, die müssen
auch spitzer werden und, ja, im wahrsten Sinne des Wortes, mehr in der
Lage sein auch unbequem zu sein und weh zu tun. Und nicht mehr dieses
altväterliche, aus dem 19. Jahrhundert überlieferte Denken weiter
in die Zukunft retten.
D: Wenn Du sagst der Ratinger Hof war die Akademie, dann war die Akademie
'ne blöde und langweilige Kneipe, die irgendwelche Yuppies für
ein Künstlerlokal hielten.
R: Du hast gesagt, daß man Forderungen stellen müßte.
D: Im amerikanischen Ausbildungs-System bezahlst Du ja für die Ausbildung.
Man bezahlt also die Information, die Qualifikation der Leute usw., und
die bemühen sich auch, diesen Kunden, den Studenten, zufriedenzustellen.
Hier ist es ja besser. Du bezahlst nicht für die Ausbildung und die
Akademie sagt eben von vornherein: du hast den Freiraum, dieses Vakuum,
erstmal. Dann kommen die Meisterklassen mit all ihren Übervater-Problemen,
aber lassen wir das beiseite und nehmen wir das als idealen Freiraum an.
Da denk ich, gerade deswegen, weil man sich die Freiheit nimmt, hat man
das Recht, vielleicht sogar die Verpflichtung dazu, sich die so einzurichten,
wie man will, und an den Bedingungen zu kratzen. Also die Akademie sozusagen
hinter sich her zu ziehen oder neu zu erfinden, auf jeden Fall mehr und
andere Forderungen an die Akademie zu stellen, als sie erfüllen kann.
R: Die Akademie also umschreiben in was anderes.
D: Ich denke es ist einfach dröge - und das hat geschichtlich auch
nie richtig geklappt -, die Akademie zu kritisieren und reformieren zu
wollen. Als Student braucht man sich von diesem Kasten gar nicht beeindrucken
lassen, man nimmt gewisse Vorteile mit und entdeckt dann Freiheiten und
Spaß für sich, die wahrscheinlich eher außerhalb der
Akademie liegen. Man entdeckt Leute, mit denen man was machen kann, sich
gegenseitig aus dem Sumpf ziehen kann. Aber ich glaube, daß diese,
na, sagen wir jetzt mal... Autonomie, die man sich selbst schafft, nicht
selbstgenügsam sein sollte, sondern so virulent sein muß, daß
sie entweder durch die bloße Existenz oder durch Forderungen - z.B.
als die bessere Akademie anerkannt zu werden - sich mit der Akademie messen
muß, als Sparringspartner sozusagen, wie sie sich ja auch mit gesellschaftlichen
Vorstellungen von Kunst, Galerien und Museen messen muß, um sich
durchzusetzen.
T: Dann schmeißen sie dich aber raus, das ist nämlich der Witz
bei der Sache.
D: Ich mein' das grundsätzlich, die Freiheit, mit der sie
dich legitimiert der Kunst gegenüber, ist auch die Freiheit, die
du dir innerhalb dieser Institution suchst. An der Du diese Insti-tution
messen mußt und auch an der sie sich selber messen muß. D.h.
hier gilt es auch zu fordern, daß diese Institutionen und ihre Professoren
m i t s i c h s e l b s t umgehen müssen
und sie sich an der Herausforderung, die diese Freiheit darstellt, selbst
messen müssen. Die Akademie muß sich, genau wie die Kunst auch,
ja sogar noch mehr, immer wieder verändern, weiter gehen.
R: Ja, klar. O.K., aber die Jungs, die sagen: Ach, da drin ist
es Scheiße, wir gehn raus, wir sind 20 Mann. In der Akademie bleiben
aber die anderen 80, die malen immer schön weiter bei ihrem Professor.
Dadurch legitimieren sich dann wieder die Professoren, die sagen halt:
Ich hab' Studenten, soundso viele, die haben zu Hause immer hübsch
gezeichnet, die zeichnen auch in der Akademie hübsch, vielleicht
werden sie Lehrer, dann malen sie weiter und zeigen's den Kindern wieder;
oder die Mädels die heiraten, ich weiß nicht in wie weit du
... Also da mußt du schon viele Studenten mobilisieren, das hat
der AStA ja auch nie geschafft.
D: Mmh..
R: Weil, Dressur kommt von oben, Ärger immer von unten.
D: Ok, wer stellt jetzt hier die Ansprüche?
R: Ja. Und dann wird's wahrscheinlich wieder sein wie immer: die
Jungs, die sich die Haare rot gefärbt haben, die wolln' 'ne eigene
Kiste aufmachen, ihr spinnt ja wohl, dafür gibt's kein Geld, und
die anderen gehen halt brav in den Aktzeichenraum und zeichnen.
D: Ja, was folgt daraus für dich?
R: Ja, du versuchst ja immer (lacht) Strategien, oder wie könnte
man's vielleicht anders machen, oder Antworten zu finden...
D: Ja, also gut, dann halt keine Antwort.
***
T: Also wenn ich mich innerhalb des Akademiedenkens bewege und noch
nicht einmal diese Struktur in Frage stelle, ist es ja schon unheimlich
schwer, mich innerhalb der Akademie f r e i zu bewegen. Aber
mit Studenten, von denen viele wirklich zu nichts anderem in der Lage sind,
als den lieben Gott 'n guten Mann sein zu lassen - was die heute machen,
das ist mir wirklich schleierhaft - mit denen 'ne Gemeinschaft zu bilden
und zu sagen: so, gemeinsam sind wir stark und jetzt setzen wir wirklich
mal unsere Interessen durch, das geht nicht. Da findest du höchstens
einen, wenn du Glück hast, und mit dem kannst du eigentlich schon 'ne
eigene Akademie aufmachen.
D: Ja, ist ja alles o.k., wir brauchen ja auch jetzt hier nicht über
Akademie zu reden...
T: Ist aber schön...
D: ... ist wahrscheinlich das Sinnvollste, nicht darüber zu reden.
Deswegen war ja auch die Idee, das Gespräch mit Dir, Gerhard zu führen,
weil du eben so 'ne Figur warst... die es anders gemacht hat, ja.
T: Außerhalb der Akademie, ja gut, sicher, aber...
D: Außerhalb der Akademie und vielleicht auch außerhalb
von irgendwelcher Vorstellungen von Kunst und du hast das ganze erstmal
auf so eine Lifestyle-Ebene reduziert. Und dann ,mit Salon
das Ganze dann wieder reingetragen, in die Kunst, aber halt auch wieder
außerhalb der Akademie.
T: Ich weiß aber nicht ob Salon als Modell funktioniert
hat um parallel zur Akademie eine künstlerische oder auch nicht so
künstlerische Gegenwelt aufzubauen.
D: Es geht ja nicht darum ob die sogenannte "Strategie" dann "Erfolg"
hat oder was Wichtiges geleistet hat. Es geht eher darum, zu kucken, ob
und wo ein Aspekt überhaupt etwas vorantreiben kann, das ist halt dann
vielleicht nur zeitlich begrenzt und bringt nur was für die momentane
Situation, aber immerhin. Der Rest geht sowieso unter im allgemeinen 'Getöse
der Zeit'.
T: Das Meiste wird sowieso in Depots verschwinden...
D: Dein neues Thema...
T: ...in den Lagern, in den Archiven und Bibliotheken, ja klar,
"confusion/selection".
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