"Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen..." [1]







HD: Herr Pevsner, Sie haben das einzige relevante Buch über die Geschichte der Kunstakademien geschrieben, wie kamen Sie dazu?

NP: Auch als Kunsthistoriker fühlt man sich in aktuelle Fragen verwickelt, wenn man nicht in akademischer Zurückgezogenheit leben will. Doch ist das Verständnis für aktuelle Probleme und Schwierigkeiten nicht zu gewinnen, indem man so tut, als sei die Vergangenheit genauso gewesen wie die Gegenwart. Anders als manche meiner Kollegen interessiert mich nicht so sehr die Beschreibung der sich wandelnden Stile der Kunst, sondern die Betrachtung der Beziehung zwischen dem Künstler und der ihn umgebenden Welt. Also, wie kam es dazu, daß der Künstler so schmerzlich von seinem Publikum getrennt wurde?

SD: Das war früher natürlich ganz anders, Idylle und so?

HD: Ja, schießen Sie los!

NP: 'Akademeia' hieß ein im Nordwesten Athens gelegener Bezirk mit Tempeln und einem weitläufigen Park. Dort, und in späteren Jahren in einem angrenzenden Landgut, unterhielt sich Plato mit seinen Schülern. Nach und nach übertrug man die Bezeichnung 'Akademie' auf Platos Anhänger und die ganze platonische Schule.

HD: Aber der Begriff 'Akademie' kam doch erst im zweiten Drittel des 15ten Jahrhunderts in Italien in Gebrauch?

NP: Ja, unter dem Einfluß griechischer Gelehrter, die im Zusammenhang mit den Verhandlungen über eine Vereinigung der griechischen mit der römischen Kirche nach Italien gekommen waren, kam es zu einer Art Platonismus-Revival. Eine ganze Schar Intellektueller sah damals in freien, informellen Zusammenkünften und geselligen Diskussionen ein Mittel, sich einerseits vom Mittelalter und seiner eingefahrenen Organisation in (Handwerks-)Gilden zu verabschieden und andererseits sich von der scholastischen Pedanterie der Universitäten zu unterscheiden.

SD: Also es entstanden dann diese 'gelehrten Gesellschaften'?

NP: Ja, man nennt sie heute 'Gelehrte Gesellschaften von Dilettanten und Amateuren'. Mit einem Male gab es einen regelrechten Boom an solch neuen, selbst organisierten Foren des interdisziplinären Gedankenaustausches, die sich gerne mit dem hochtönenden Titel 'Akademie' schmückten. Meist waren sie von kurzer Dauer und an keinen festen Ort gebunden.

HD: Es ging also darum, 'Akademie zu machen', also um einen aktiv besetzten Begriff.

NP: Ja, das war ein neu entdeckter Spaß an vagabundierendem, egalitärem Gedankenaustausch, und das schien eine Möglichkeit, sich ein ganz neues Weltbild zu erobern. Also raus aus dem dumpf religiös-mythischen und hierarchischen Mittelalter dadurch, daß man versucht, sich durch Diskussionen, Vorträge und gemeinsames Handeln allmählich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, ein neues Bewußtsein zu erlangen.

SD: Das war also Kunstakademie?

NP: Nein, ausgehend von Platon'schem Gedankengut ging es anfangs eher um religiöse, d.h., philosophisch - wissenschaftliche Dispute, aber es gab auch Vereinigungen, die Konzerte veranstalteten, andere, die sich als astrologische Geheimzirkel verstanden. Es ging um alle möglichen Themen auch künstlerische, literarische, selbst kriegerische.

HD: Die Akademie war also zunächst ein Ort, dann ein Kreis von Personen, dann eine bestimmte philosophische Lehre und dann eine Form der Auseinandersetzung, aber schließlich doch eine feste Institution.

NP: Ja, dazu kommen wir gleich. Im Laufe der Zeit erwuchsen aus der unorganisierten Vielfalt der Debattierclubs und Vorlesungen ehrenwerte Institutionen und wissenschaftliche Gesellschaften mit komplizierten Statuten und Satzungen und teilweise großem gesellschaftlichem Einfluß.

SD: Wurde die 'Erfindung' der Kunstakademie nicht Leonardo da Vinci zugeschrieben?

NP: Naja, man hat irgendwo einmal zwei Drucke mit der Inschrift 'Academia Leonardi Vin' entdeckt, aber der hat eine Kunstakademie weder geplant noch gegründet. Doch kann man davon ausgehen, daß es sich, wie damals üblich, eher um eine zwanglose Vereinigung handelte. Allerdings ist Leonardos Theorie, die Malerei von einer manuellen Geschicklichkeit in den Rang einer Wissenschaft zu erheben ('Man malt mit dem Hirn und nicht mit der Hand'), das neue Konzept der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft: Raus aus dem mittelalterlichen Handwerksdenken mit seinem fest definierten sozialen System (Zunft, Gilde)! Er forderte dafür auch eine neue Form der Kunstausbildung:

Erst Theoriestudium, dann Übung der Geschicklichkeit in der Praxis, doch de facto war man in Leonardos Atelier immer noch der mittelalterlichen Handwerksausbildung verhaftet.

HD: Für den Künstler ergab sich also ein neues Sozialprestige. Durch die Aufgabe der eindeutigen Berufsbezeichnung Handwerker = Künstler, also weg von der Plackerei, wurden jetzt Kunst-Werke erstmals als 'göttlich' angesehen und manche Künstler als Genie gepriesen und wie Fürsten behandelt. Um diese Qualität allerdings zu erkennen und durchzusetzen, bedurfte es einer kleinen Elite geschmacksbewußter 'Kenner', die sich zu einigen wußte. Der Künstler selbst fühlte sich daher eher den Adeligen und Mächtigen verpflichtet, und ein breiteres Publikum hatte seine Arbeit entweder zu würdigen oder ihn in Ruhe zu lassen.

SD: Ja, als Fürstenknecht hat der Künstler alles was er braucht, Ruhm, Macht, Einfluß und Geld auf seiner Seite, aber davon muß man doch das Erkennen und Durchsetzen unterscheiden, das ja eher eine Eigenschaft der Intelligenzija ist.

HD: Ach, und von wem hängt die ab?

NP: Gleichzeitig aber bedeutete dieser Gewinn an gesellschaftlichem Status einen Verlust sozialer Sicherheit, denn es gab natürlich die Gefahr, nicht anerkannt, sich plötzlich zwischen den Klassen zu befinden,. Aber das war eben das Privileg des neuen Künstlerbildes: Stolz und Elend.

SD: Diese neue soziale Unsicherheit verschärfte sicherlich die Konkurrenz unter den Künstlern, wurde dies denn auch in der Akademie sichtbar? Wie gings denn da eigentlich weiter?

NP: In Bandinellis Akademie auf dem Belvederehof des Papstes Leo X. scheint erstmalig der neue Begriff von den Zirkeln der Amateure und Humanisten auf die bescheidene Werkstatt eines Bildhauers übertragen worden zu sein. Es ist wahrscheinlich die erste Kunstschule, auf die der Begriff Akademie angewendet wurde. Ein Stich zeigt ältere und jüngere Künstler bei gemeinsamer Arbeit, wobei nicht alle mit derselben Aufgabe beschäftigt sind. Der Zweck dieser meist abendlichen Zusammenkünfte in der Werkstatt des Bildhauers war es, sich in gesellschaftlichem Rahmen mit Zeichnen und mit Diskussionen über Theorie und Praxis von Kunst zu beschäftigen.

In Florenz sponsorte Lorenzo il Magnifico um 1490 eine kleine, zwanglose Schule für Lernbeflissene in Malerei und Bildhauerei, die frei von jeglichem Gildeneinfluß war. Der damals moderne Unterricht zeigte Resultate: Michelangelo war einer der ersten Schüler.

HD: Das ist ja immer so, bei neuen Lehrmodellen, da kommt gleich was raus.

NP: Immer noch auf eine Loslösung von den Gilden bedacht, wurde die Akademie etwa Mitte des 16. Jahrhunderts mit festen Regeln versehen. Dies war das Werk Giorgio Vasaris und seiner Accademia del Disegno. Die Akademie verdrängte die alte Gilde vollends und schwang sich als eine Gesellschaft der führenden Florentiner Künstler unter der Schirmherrschaft des damaligen Patriarchen in eine Position, die sie mit anderen Organisationen von Wissenschaftlern und Gelehrten gleichstellte. Die Akademie wurde zur obersten Autorität in Sachen Kunst und bildete so eine Institution, die einerseits die Interessen der Künstler vertrat, andererseits aber auch Richtlinien in Kunst und Verwaltung aussprach...

HD: Insofern war sie den eben abgeschafften Gilden wieder ähnlich.

SD: Naja, aber da hat sich eben der Kunstmaler vom Anstreicher getrennt.

HD: Nur haben diese 'Anstreicher' vorher zum Teil auch Altarbilder gemalt ...

NP: Anyway, jetzt jedenfalls war dieser Institution erstmals auch eine Abteilung zur Ausbildung der Anfänger angegliedert. Das war anfangs eine eher freundschaftliche, aber obligatorische Beratung durch anerkannte Künstler und ein Unterricht in Perspektive, Geometrie und Anatomie. Trotzdem war die Florentiner Akademie mehr eine Versammlung illustrer Persönlichkeiten, mit der sich der Künstler als eine dem Philosophen, dem Dichter, dem Naturforscher und dem Kriegsmann gleichrangige Figur präsentieren wollte, der den Bindungen und Bedingungen des Handwerks entwachsen war.

Dagegen begriff sich die Accademia di S. Luca in Rom eher als Unterrichtsanstalt. Diese wurde vom Papst deshalb gegründet, weil er glaubte, daß sich die Künstler aus wirtschaftlicher Not an Aufgaben wagten, denen sie u.a. aus Mangel an christlicher Moral nicht gewachsen waren. Zuccari als Präsident ermahnte die Mitglieder deshalb zur Teilnahme am Gottesdienst, zu Tugend und zur Frömmigkeit. Wir aber erachten die Disputationen über Kunsttheorie, die 'conversatione virtuosa' für wichtiger. Meist nach dem Mittagessen stritt man über Komposition, über den Vorrang der Malerei über die andern Künste oder über die Definition des 'Disegno' [2] . Zwölf 'Censori' korrigieren die Zeichnungen der Studenten und überwachen die Einhaltung der Statuten.

SD: Das waren also die Vorläufermodelle für heute?

NP: Beide Akademien hatten aber nur kurzen Bestand, schon nach etwa zwanzig Jahren hatten sie ihre Vormachtstellung gegenüber den Gilden verloren, Bildhauerkunst und Malerei befanden sich in einer Situation, die sich kaum von der hundert Jahre zuvor bestehenden unterschied. Aber an dieser Stelle müßte man sagen, daß durch diese beiden Akademien die Hauptziele für Kunstakademien gesteckt wurden: Das Monopol über die Bewertung von Kunstwerken, Repräsentation und Reproduktion.

SD: Aha. Aber sie waren doch auch Begräbnisbruderschaften, also sich gegenseitig zu garantieren, daß man ein ordentliches Begräbnis kriegt, war ein Hauptanliegen, oder?

HD: Ja, das stimmt schon, aber das hilft uns hier nicht weiter. Das Italien des 16. und 17. Jahrhunderts wurde von partikularen und regionalen Mächten bestimmt, und es gab dort weiterhin verschiedene Ausprägungen dieser Abend-, Atelier- und Selbsthilfe-Akademien, in den Werkstätten oder auch in den Häusern von Mäzenen. Aber die Stellung der Akademien im Absolutismus in Frankreich ist doch ein interessanteres Beispiel für die Verquickung von Künstlertum, Ausbildung und Staatsmacht - oder meinst Du, es langweilt schon?

SD: Nee, es geht schon noch, oder?

NP: Ja, die 'Acadèmie Royale de Peinture et de Sculpture' ist ein gutes Modell um zu sehen, wie sehr die Institution immer ein Spiegel der staatlichen Verhältnisse ist, in diesem Falle: Absolutismus, Merkantilismus und Zentralismus. Der Hof des Königs als Zentrum des Staates war bestrebt, die besten Künstler, auch ausländische, an sich zu ziehen. Macht und Einfluß der Gilden wurden deshalb Schritt für Schritt abgebaut. Hier trafen sich die Interessen des königlichen Hofes mit denen der Künstler, denn diese wollten sich nobilitieren und den Zwängen der Gilden entkommen. Allerdings merkten die Künstler nicht, daß sie als Hofkünstler in eine viel weitreichendere Abhängigkeit gerieten, als die Zunftverfassung mit ihren oft kleinlichen Vorschriften bedeutet hätte.

SD: Aber dafür badeten sie im Licht des Sonnenkönigs und konnten ihn vielleicht auch mal persönlich kennenlernen.

HD: Und die Akademie wurde das Instrument Colberts, das die Hofkünstler mit Privilegien [3] und Titeln versehen konnte und somit dem Staat auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ein Monopol sicherte. Es ist doch klar, daß der Herrscher die Wichtigkeit der vereinten Anstrengungen von Naturwissenschaft, Philosophie, Geschichte etc. als angemessenen Ausdruck des Geistes der Epoche verstand und sie förderte, um sie an sich zu binden. Durch die neuen geistigen und ästhetischen Errungenschaften wurde einerseits Handel und Gewerbe wettbewerbsfähiger und die Macht des Herrschers durch die neuen Entwicklungen weiterhin glorifiziert. Gerade die Schaffung mächtiger Akademien der Wissenschaften und Sprache (!) stiftete nationale Identität. Diese Vereinigungen gibt es heute immer noch als staatliche Institute und oberste Autoritäten in Sprache, Wissenschaft, Kultur.

NP: Außerhalb der Akademien war eine Ausbildung zum Maler oder Bildhauer nicht mehr denkbar. In dieser Periode entwickelte sich der 'große Stil'. Ich glaube, die Problematik, oder krasser gesagt, das Verhängnis der Akademien begann mit dieser Verknüpfung des Akademiegedankens mit der ausschließlichen Festlegung auf einen einzigen, vom Staat gewünschten Stil. Das verschärfte sich, als die Akademie immer weitere Aufgaben an sich zog und auch das Kunstgewerbe und damit die Erziehung der Kunsthandwerker zu kontrollieren begann.

HD: Colbert als Protektor der Akademie sah ganz klar die Bedeutung der entwickelten, angewandten Künste für die Prosperität der französischen Wirtschaft, und es gelang ihm und seiner Berufungspolitik, die Ziele in Dingen der Kunst vollständig mit seinen wirtschaftlichen Zielen des Merkantilismus zu vereinen.

NP: Indem sich die Akademie zur obersten Instanz, zur höchsten Richterin nicht nur in Fragen des Stils, sondern generell in allen Fragen des Geschmacks machte, praktizierte sie kaum zweihundert Jahre nach der Gründung der Akademien eine Fesselung und Gängelung des Künstlers. Der Absolutismus hat erfolgreich über jene tatsächliche Unabhängigkeit des einzelnen Künstlers triumphiert, für die einst die ersten Akademien gegründet wurden. Waren es damals die Zünfte und Gilden, die diese gesellschaftlichen Zwänge repräsentierten, so hatten nun die Akademien selbst diese Rolle eingenommen - ein Widerspruch der zum Wesen der Akademien zu gehören scheint.

SD: Wie sah denn der Unterricht tatsächlich aus?

NP: Eigentlich arbeitete der Student im Atelier eines Akademikers, also beim Meister wie im Mittelalter, und zum Akademiestudium wurde er nur aufgrund eines Zeugnisses seines Meisters zugelassen. Der konnte übrigens sechs Studenten ausbilden, denn alles war ja reguliert. In der Akademie wurden in der 'Unterstufe' Arbeiten der Professoren kopiert, dann durften die Studenten nach Gipsabgüssen zeichnen und schließlich, in der 'Oberstufe', nach Modellen. Wichtiger als der Unterricht in Perspektive, Geometrie und Anatomie waren jedoch die Vorlesungen, die sich aber ganz krass von denen Zuccaris unterschieden. Dort, Sie erinnern sich, in der Accademia di S. Luca in Rom, hielten voll ausgebildete Künstler vor ihresgleichen Vorträge, um durch gegenseitige Hilfe und Diskussionen zu einem klareren Verständnis der Kunst und ihrer Prinzipien zu gelangen. An diesem Aspekt war Colbert nicht interessiert. Mit Hilfe der Vorlesungen sollten endgültige Regeln für junge Künstler niedergelegt werden, keine andere Epoche glaubte so stark an klare und mathematisch beweisbare Regeln der Kunst, wie der Absolutismus. Um eine derart exakte Beurteilung von Kunstwerken zu ermöglichen, wurden die Bildwerke nach verschiedenen Kategorien analysiert, die eine nach der anderen besprochen wurden. In dem Buch 'Balance de Peintres' wurden alle berühmten Maler nach Punkten 0 bis 80 bewertet, je nach dem Wert ihrer Komposition, von Ausdruck, Dessin und Farbe.

SD: Heute gibt’s die Capital-Liste in Focus, Punkte für die Ausstellungsorte und Märkte.

NP: Das Punktesystem begann schon beim Eintritt in die Elementarstufe der Akademie. Der Ehrgeiz des jungen Künstlers wurde durch Wettbewerbe und Preisverleihungen ständig angestachelt und er konnte so von Stufe zu Stufe höher steigen. Die höchste Auszeichnung war der 'Prix du Rome', ein vierjähriger Aufenthalt in der Zweigstelle der Pariser Akademie. Dort dienten die Benefizianten wieder den merkantilen Interessen Colberts, indem sie Kopien der wertvollsten in Rom befindlichen Kunstwerke herstellten und nach Paris schickten.

HD: Ja, dieses Projekt war von wesentlicher historischer Bedeutung, wirft es doch ein Licht auf Colberts Auffassung von Kunst wie von Nationalwirtschaft. Geradeso wie es wünschenswert war, daß französische Handwerker in der Lage sein sollten, venezianisches Glas oder englische Tuche auf französischem Boden für französische Verbraucher zu produzieren, so daß kein Kapital außer Landes gelockt wurde, sollte auch die römische Antike und Renaissance der Bevölkerung von Paris zugänglich gemacht werden.

SD: Griechenland und Rom, Revival Nummer 2.

NP: Gut, machen wir's kurz: nach seiner Rückkehr aus Rom wird der Künstler dann selbst Akademiker, Staatskünstler, wenn er Glück hat als Professor oder Rektor verbeamtet. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden überall in Frankreich Pflanz- und Zweigschulen gegründet, dieses System zerfällt aber immer mehr. Durch Geldnöte, Kriege und inhaltliche Verschiebungen in der Kunst kommt es zu einer Art 'Privatisierung': Professoren und Meister dürfen jetzt Unterricht zu Hause erteilen, das Gildenwesen kommt zurück und in Italien gibt es das erste Aufbegehren der Künstler, die im Namen der Freiheit der Kunst gegen die Akademien protestieren. In Rom wendet sich die Gilde gegen eine Besteuerung, die Kunsthändler und Künstler, die offene Läden führen, an die Akademie entrichten mußten. Die Nützlichkeit von Handwerk und Handel werden jetzt der Nutzlosigkeit der schönen Künste entgegengestellt. Dramatisch wurde die Unterdrückung guter Bürger angeprangert, "macht der Willkürherrschaft der Akademie ein Ende!", hieß es. Aber die Akademie wehrt sich nur schwächlich, bringt wieder einmal die Würde der Kunst ins Spiel und wie schädlich die Vermischung mit dem Handel für sie sei. Auch hätte der Besitz berühmter Kunstwerke, so hieß es, Städte vor Belagerung und Brandschatzung gerettet.

SD: Vielleicht sollten wir für die Liebhaber solcher Anekdoten auf ihr Buch [4] verweisen, Herr Pevsner, und etwas zügiger voranschreiten, wir haben ja noch etwa zwei Jahrhunderte.

HD: Die aber von einem Modell dominiert werden.

SD: Es kam ja jetzt wohl, schätze ich, zu einigen wichtigeren Aktionen gegen die absolutistische Dominanz des Herrschers und seiner Akademie: egalité, liberté, fraternité und zack, Rübe runter!

NP: Geduld, Robespierre, so leicht läßt sich Dein Schnitt nicht machen.

HD: Wir sollten doch vorher noch ein paar ökonomische Überlegungen anstellen.

NP: Grob gesagt standen sich damals drei Modelle künstlerischer Produktion gegenüber. Das erste, das in Deutschland, England und teilweise in Italien herrschte, war trotz allem eigentlich immer noch das mittelalterliche System der Gilden, des Meisters, der in seiner Werkstatt mit seinen Gehilfen die Bestellungen weltlicher und geistlicher Auftraggeber entgegennahm und erfüllte. Dieses System war als erstes zum Untergang verurteilt. Mit der Aufklärung und der französischen Revolution verschwanden die letzten Relikte eines mittelalterlichen Lebensstils. Das zweite Modell ist das des Akademikers, wie ihn die Pariser Akademie hervorgebracht hat. Vom König mit Titeln geschmückt und von der Aristokratie mit Aufträgen wohl versorgt, sonnt er sich in seiner glanzvollen gesellschaftlichen Stellung, angekettet.

Das Gegenmodell dazu hat sich nun in Holland entwickelt. Es ist das des Marktes. Die Künstler, der Interessenvertretung (Gilde) nur noch lose durch Mitgliedsbeiträge verbunden, begannen nicht länger auf Aufträge zu warten. Sie malten, was ihnen gefiel und wie es ihnen gefiel. Anstelle des Auftraggebers trat der Käufer, der bei einem Maler unter vorhandenen Bildern aussuchen konnte. Um sich nicht in Abhängigkeit von Händlern oder dem unberechenbaren Geschmack der vielen kunstfreudigen Kleinbürger zu begeben, übten viele, auch die bekanntesten Maler jener Zeit, einen zweiten Beruf aus: Jan Steen und Aert van der Neer waren Gastwirte, van Goyen betrieb einen Tulpenhandel, van de Capelle eine Färberei und Hobbema hatte eine Einnehmerstelle für Weinsteuer. Die Akademien haben die aufkommende Macht des Marktes von Anfang an verteufelt [5] . Die Etablierung des Marktes als Gegenmacht zur Akademie, die zumindest in Frankreich üppiges Auskommen garantierte, führte zum ersten Mal in der Kunstgeschichte zu einem Überangebot nicht nur an Kunstwerken, sondern auch an Künstlern, die der Markt nicht mehr ernähren konnte.

HD: Und in der Folge gefällige Mainstreammalerei oder aber Fächlertum, also man spezialisiert sich auf ein Genre.

SD: Aber es erhöht auch Experimentierfreude, Suche nach neuen Erfindungen.

HD: Gut, aber auch die Nachteile, Verkrampftheit, Gimmicks, Trends und Tricks, bis hin zum Eigenwert davon.

SD: Also Du meinst, der wirklich innovative Künstler hätte in so einer Art bürgerlich-kapitalistischer Demokratisierung weder ökonomische noch idealistische Anerkennung gehabt, während Sie, Herr Pevsner, einmal behaupteten, im Mittelalter hätte - aus irgendwelchen unbekannten Gründen -  der große Meister auch große Aufträge gehabt.

NP: Ja, auch den am wenigsten kompromißbereiten Künstlern Michelangelo, Tintoretto usw. hat es nie an angemessenen Aufträgen und Gönnern gefehlt. Doch haben sie die Identität von Kunst als Handwerk und Kunst als Berufung zerstört. Damit haben sie den Künstler aus den Verhältnissen gerissen, die ihn ernährt haben, bis der Absolutismus in Frankreich neue Fesseln schmiedete, um ihn dem gesellschaftlichen System wieder einzugliedern. Doch nun in Holland war der Erfolg nicht länger von dem Wert der Kunst bestimmt, sondern hing vom Urteil einer Masse von Kleinbürgern ab. Das Genie war der Armut und Geringschätzung preisgegeben.

SD: Wie schlimm! Seither tröstet sich jeder erfolglose Künstler mit der Hoffnung, daß sein Wert im nachhinein, von nachfolgenden Generationen konstruiert wird. Aber in einer Abfolge von Epochen, in denen die soziale Stellung des Künstlers stärker determiniert war, gab es vielleicht gar keine Notwendigkeit, um nach vergessenen Genies zu suchen. Das kommt doch jetzt erst auf, durch veränderte wirtschaftliche Bedingungen und das Entstehen des Bürgertums. Kann man das jetzt endlich mal beleuchten?

HD: Dazu brauchst Du 'edle Einfalt, stille Größe'.

NP: Das ist das Stichwort.

SD: Nee, dann sitzen wir noch morgen rum.

NP: Jetzt nerven Sie doch nicht, Sie haben mich doch eingeladen... Gut, ich mach's kurz, nun, in allen europäischen Zentren entstanden plötzlich Kunstakademien. Dies resultierte einerseits aus den Ideen der Aufklärung, die sich immer mehr verbreitet hatten und die gegen den verspielten Luxus des Rokoko die von Ihnen erwähnte 'stille Einfalt, edle Größe' setzten. Das Schaffen von Schönheit war das Ideal der neuen Kunst 'à la Greque'...

SD: Revival Nummer 3

NP: ... und dazu brauchte es Ausbildungs-Stätten. Der neue Glaube an die überragende, sittliche Bedeutung der künstlerischen Botschaft und ihre erzieherische Wirkung auf die Natur des Menschen, führte zu einem erwachenden Selbstwertgefühl des Künstlers und brachte Natur-gemäß ein aktives Interesse an Erziehungsfragen mit sich. Aber keine Wandlung des Geschmacks oder sogar der Weltanschauung wäre für sich allein stark genug gewesen, um die Einrichtung so vieler neuer Schulen zu bewirken. Es kam etwas dazu, das Winckelmanns Ideen nahezu diametral entgegengesetzt war, nämlich die Erkenntnis der Wichtigkeit der Künste zur Förderung des Handels.

HD: Ja, das merkantile, frühkapitalistische Wirtschaftswesen steht doch der 'Heiligen Würde' der Kunst gegenüber.

NP: Darüber war man sich nicht so klar. Nach den Lehren merkantilistischer Wirtschaftsfachleute war es die oberste Pflicht des Staates, ein System blühender Wirtschaftszweige aufzubauen, um so die Zirkulation des Geldes anzuregen, sowie den Export von Gütern und den Import von Gold zu steigern. Gerade für diejenigen, die Akademien bauen ließen, schien die Idee einer 'Angewandten Kunst' ein Schritt zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Waren. Kunst konnte jetzt auch vom kommerziellen Standpunkt aus betrachtet werden, und es hieß, die Akademie müsse Geschmack verbreiten und das sittliche Empfinden für bürgerliches Gewerbe und Handwerk entwickeln [6] . Den meisten europäischen akademischen Instituten wurden neue gewerbliche Klassen angegliedert, oder aber neue Einrichtungen von Anfang an so organisiert, daß sie sowohl künstlerischen, wie auch wirtschaftlichen Zwecken dienen konnten.

HD: Was wurde aus all den großen Hoffnungen, mit einer wiedergeborenen freien Kunst die Menschheit zu den höchsten Zielen zu führen, was aus dem Künstler als Priester der Wahrheit und Tugend, der über dem täglichen Leben und seinen Nöten stand, wenn die Akademie zu einer Zeichenschule für Gewerbe und Industrie werden sollte?

NP: Seltsamerweise scheint man sich diese Ungereimtheiten nur selten klar gemacht zu haben. Wenngleich die Akademien gewisse Gedanken der Aufklärung aufgenommen hatten, blieben sie doch ihrem Wesen nach dem französischen absolutistischen Regime verhaftet. Und genauso wie der Bürger von 1789 diesem feindlich gegenüberstand, weil es Künstler hauptsächlich für Hof und Adel herangebildet hatte, so haßten die Künstler und Philosophen der Romantik die Akademien, weil sie jedes System der reglementierten Ausbildung ablehnten.

SD: Nun ja, aus der Aufklärung entwickelte sich in Frankreich die politische und soziale Revolution, also praktische Politik, während sich in Deutschland Sturm- und Drang-mäßig aufgewühlte Gefühle gegenseitig feierten. Der revolutionäre Individualismus ist vorerst eine künstlerische Strategie, sich gegenüber der Welt zu behaupten. Mit dieser Behauptung der eigenen Genialität habe ich keine Probleme, interessant ist aber, was daraus geworden ist. Denn die Revolution hat ja in Deutschland nicht stattgefunden, und der aufrührerische Geist verlor sich in Nationalismus und Biedermeier. Genialität wurde jetzt idealisiert und zum Bild, das der Bürger vom Künstler brauchte. Diese Vorstellung von Freiheit verkauft der Künstler bereitwillig.

HD: Echt revolutionär!

NP: Aber es ist doch erstaunlich, irgendwie auch logisch, daß die französische Revolution, auf künstlerischem Gebiet allen voran David, die Entwicklung der Akademien wenig vorantrieb. David gründete zwar einen Klub revolutionärer Künstler, die Commune des Arts und die bewirkten eine Auflösung der Akademie, aber ein Jahr später und ohne irgendwelche nennenswerten Veränderungen, wurde die Akademie unter dem neuem Namen Académie des Beaux Arts wieder geöffnet. Ebenso blieb das System des Privatunterrichts in den Ateliers angesehener Künstler fast so wie zu Zeiten des alten Regimes. Zu erklären ist dies vielleicht damit, daß es in Frankreich weniger um eine gänzlich andere philosophisch begründete Veränderung der Kunst und somit auch des Kunstsystems ging, als um organisatorische und Macht-Fragen. Davids Autorität und seine Staatskunst waren unumstritten, sie ersetzte nur die vorherige.

HD: Und dem 'Genie' Carstens gestehen Sie mehr Wirkung zu?

SD: Ich hab noch nie Arbeiten von dem gesehn.

NP: Sie sind aber sehr Objekt-fixiert! Der hat durch den Streit, den er angezettelt hat, für die Weiterentwicklung der Kunst sicherlich mehr bewirkt, als durch seine Arbeiten.

HD: So wie Du.

SD: Ha, ha, ich lach mich tot, laß' lieber mal von dem Streit hören.

NP: Also, Carstens lebte als Stipendiat seiner Akademie schon einige Jahre in Rom und er dachte daran, sich dort für immer niederzulassen. Heinitz, der Direktor der Berliner Akademie sah in der Gewährung des Stipendiums eine Art gegenseitiger Verpflichtung, die nun von einer Seite her gelöst werden sollte, und er geruhte anzufragen, was der Herr Künstler denn für die beträchtliche, von der Akademie ausgegebene Summe geleistet hätte. Carstens erklärte, daß er nicht der Berliner Akademie gehöre, sondern der Menschheit, seine Fähigkeiten seien ihm von Gott anvertraut und müsse er über diese eines Tages Rechenschaft ablegen, könne er nicht sagen: 'Herr, das Talent, das Du mir anvertraut hast, habe ich in Berlin vergraben.'

HD: Das hat wohl in Rom eingeschlagen wie 'ne Bombe. Die Szene dort war ja ein Sammelbecken aller Ex-Akademie-Studenten, Postgraduates, junger Spinner in mönchischem Demutsgewand oder Protagonisten nationaler, heroischer Landschaftsmalerei, und alle Künstler einigten sich - 'a new spirit in something' - im Glauben an einen genialischen Individualismus.

NP: Ja, Carstens' Streit kam gerade recht, um mit den alten Strukturen zu brechen. Die Idee des Absolutismus und der Aufklärung, aus Kenntnis der Einzelteile die ganze Welt zusammensetzen und damit erklären zu können, hat sich ja auch eklatant in den fragmentierten Lehrmethoden der Akademien niedergeschlagen. Gipsabgüsse von einzelnen Körperteilen zu zeichnen und dann daraus den ganzen Körper zusammenzusetzen, das alles schien nun lächerlich. Dagegen setzte man nun den leidenden, begeisterten, chaotischen Künstler, das geniale Naturkind, das aus sich selbst das Ganze schafft. Und in der Lehre konterte man den ordnenden und rational gestaltenden Geist der Aufklärung mit einem Mittelalter-Revival: das Meister-Schüler-Verhältnis in den Werkstätten, religiöse Einfachheit und das heilige römische Reich deutscher Nation waren nun die Vorbilder.

HD: Auf der Suche nach kultureller Legitimation des Begriffs ‘Deutsche Nation’ war das schon ein Teil der Kämpfe für einen autoritären deutschen Nationalstaat. Künstler haben die ‘revolutionäre’ altdeutsche Tracht getragen und überall rumgewühlt, um Wurzeln zum Stamm der deutschen Eiche zu finden!

SD: Und seither die Angst vor dem ‘Fremden’, denn es könnte uns ja den Stammbaum versauen. Die Besinnung auf die kulturelle Identität der Deutschen war schon immer ein Grund zum Abgrenzen und Ausgrenzen Andersartiger.

HD: Es geht dabei aber nicht um Abgrenzung, sondern um den, z.B. am Geniebegriff festgemachten, spezifischen Aufbau eines vorgeblich ‘Eigenen’ einer antimodernen und gegenrevolutionären Gesellschaft.

SD: Zum Thema Genie und bürgerliche Gesellschaft bemüht sich ja auch Alice Creischer in diesem Band. Aber wenn wir bei der Akademie bleiben, wie veränderte sie sich jetzt?

NP: Die [7] Akademien [8] wurden [9] jetzt [10] von [11] allen [12] Seiten [13] beschossen [14] , so als hätten sie das alte Denken alleine repräsentiert. Als Genie wird man ja bekanntlich geboren und das Kunst-Ganze schafft man nur aus sich selbst heraus, also schien jede Lehre absurd. Andererseits brauchte man aber Anhänger, Freunde und Schüler, die die Genialität erkannten und weiterverbreiteten. Beispielhaft für diesen anscheinenden Widerspruch sind die Künstler der Bruderschaft von Sankt Lukas, die unter ihrem Spitznamen 'Nazarener' besser bekannt sind. Sie lebten in Rom auf dem Pincio in einem verlassenen Kloster und verklärten das Leben Jesus Christus' (des sympathischen Nazareners) und der altdeutschen Maler. Sie waren allesamt Akademiehasser und nannten doch, ganz im Sinne der frühen Renaissance, ihre abendlichen Aktzeichenübungen 'die Akademie'. Kurz und gut, einer von ihnen, Cornelius, wurde als Rektor an die Düsseldorfer Akademie berufen. Er beließ die bisherige Ausbildung, - das Zeichnen nach Gipseinzelteilen usw. -, lediglich als Grundstudium, und führte dann als eine Art Aufbaustudium, die Meisterklasse, ein. Diese Ausbildung in der Art der alten Meister ersetzte Lehre durch väterliche Fürsorge und band die Studenten oft, wie in der mittelalterlichen Werkstatt, in die Produktion des Meisters ein.

HD: Das kann man bei Cornelius allerdings sagen! Als Akademieleiter war er ja eher eine Null, aber zusammen mit seinen Schülern hat er die großen Freskenaufträge in München bewältigt.

NP: Deshalb wechselte er auch als Direktor an die Münchener Akademie. Sein Nachfolger in Düsseldorf, der organisatorisch begabtere Schadow, setzte die Meisterklasse erst richtig durch. Dieses Modell war insgesamt so erfolgreich, daß innerhalb von 20 Jahren fast jede Kunstakademie Europas 'reformiert' war, und natürlich hatten dann auch alle Nazarener, die Akademiehasser, ihre Professur.

SD: Schön, aber warum machen Sie die Widersprüchlichkeit zum Vorwurf? Egal ob die Nazarener schlechte Künstler waren, religiöse Spinner oder Vorreiter des Pop im Sinne der ‘New-Romantics’, ich finde wichtig, daß sie aufgrund ihrer Arbeit das bestehende Akademiesystem ablehnen mußten, aber dann trotzdem die Notwendigkeit sahen, eine neue und ihnen entsprechende Akademie zu entwickeln. Geht es denn nicht immer darum, die Akademie kurz und klein zu hauen und sie wieder aufzubauen, sich selbst zum Abschuß freizugeben und die Fresse hinzuhalten für die nächste Generation? Es gibt kein endgültiges Ergebnis, die perfekte und ewige Akademie, sondern es geht doch um eine ständige Reibung, um Veränderung und Behauptung: die Akademie wie die Kunst immer neu zu erfinden.

HD: Das geht aber doch nur, wenn Du die Gesellschaft und damit die Stellung der Kunst in der Gesellschaft mitveränderst. Deswegen passiert ja weiter nichts. Bis auf das übliche Hin und Her der Stile blieben die Akademien bis heute gleich.

NP: Ja, anstatt das System des 18. Jahrhunderts vollständig zu zerschlagen, führten die Nazarener Neuerungen nur dort ein, wo sie persönlich besonders interessiert waren. Zwar wollten Sie einem Übergewicht der Schule durch den Geist der Gemeinschaft und Brüderlichkeit in ihren Meisterklassen vorbeugen, aber die Wiederbelebung der Werkstattproduktion konnte nicht in einem völlig anderen Gesellschaftssystem erfolgen. Sie erreichten durch den alleinigen Einfluß des Genie-Professors nur die Zerstörung der letzten Überbleibsel einer überholten Kollektivausbildung und die Errichtung eines rein individualistischen Systems. Trennung also, wo Einheit gesucht war.

SD: Der Welt entrückt, die Welt in sich tragend....

NP: Hatte der Künstler, um seine 'Freiheit' zu gewinnen, erst das Verhältnis zwischen Kunst und Handwerk aufgelöst, so verbannte er jetzt all seine Verpflichtungen dem Staat, der herrschenden Klasse und dem allgemeinen Publikum gegenüber. Wie unbeschwert war die gesellschaftliche Stellung des Künstlers hundert Jahre früher gewesen, als die meisten privaten wie öffentlichen Aufträge aus der selben Schicht kamen, aus einer Klasse von Leuten, die reichlich Muße hatten, sich an Kunst zu erfreuen und zu genießen.

HD: Die französische Revolution, die Napoleonische Ära, die industrielle Revolution hatten das meiste davon beseitigt...

NP: Für die jetzt aufsteigenden Klassen im 19. Jahrhundert ging es nicht um Landgüter oder Stadtpaläste. Es entstand eine Situation, die damals völlig neu, heutzutage aber selbstverständlich ist: Die Tatsache nämlich, daß auch der reichste Gönner der Kunst ein vielbeschäftigter Mann ist, der den Hauptteil des Tages mit Arbeit verbringt und Kunst als Ruhe und Erholung, als pseudoreligiösen Kult, als modern-avantgardistisches Accessoire, in jedem Falle aber als etwas außerhalb des Alltags Stehendes betrachtet. Kein Künstler konnte mehr wissen, wie die Wünsche eines potentiellen Käufers sein würden.

SD: Er muß eben sein Ding machen, durch seine Qualifizierung, sein Fachwissen, entwickelt er ja Produkte, für die erst eine Nachfrage erzeugt werden muß.

HD: Hast Du gerade geträumt? Wir reden doch die ganze Zeit darüber, wie wenig es 'sein Ding' sein kann, wenn er bei einer einzigen Person gelernt hat, die noch dazu lediglich billige Gefolgsleute sucht, um ihn und seine Genialität zu bestärken.

SD: Man muß halt erst einmal dienen, sich ganz und gar einlassen, bevor man selbst einmal ...

HD: ... mit Glück Professor wird! Und die Reproduktion in immer schwächere Glieder bedeutet nichts anderes als die Variation des herrschenden Stils, die Dominanz des herrschenden Kunstbegriffs in allen Bereichen der Gesellschaft. Schließlich ist gar nichts anderes denkbar.

NP: Wie Sie sagen: die Akademiesierung aller künstlerischen Bereiche war durchgesetzt, die Regierungen unterstützten die akademischen Künstler, die Studentenzahlen wuchsen ebenso wie der Einfluß der Akademien auf das Ausstellungswesen, den herrschenden Geschmack usw.. Ein Künstlerproletariat, Scharen von mittelmäßigen Talenten ist kennzeichnend für das 19. Jahrhundert.

HD: Überproduktion - über die neue Bedeutung des Marktes sprachen wir ja schon vorhin.

SD: Der neue Lehrmeister. Und die Neuerungen in der Kunst, Impressionismus etc. ...

HD: ... gingen nicht von der Akademie aus ...

NP: ... aber sie versuchte ihre Ideale hochzuhalten. Doch mußte sie grollend eine Neuerung nach der anderen akzeptieren, wenn diese sich über den Markt und die Institutionen gegen die Geringschätzung der Akademien durchgesetzt hatten. Dies geschah aber nie rechtzeitig, und daher spiegelt die Geschichte der Kunstakademien bis heute die Kunst der jeweiligen Epoche mit einer gewissen Verzögerung.

SD: Dadurch wurde sie eigentlich noch mehr dem Hohn der Erfolgreichen ausgesetzt.

NP: Von der Romantik an betrachtete sich der Künstler als Träger einer Botschaft, höher als die von Staat und Gesellschaft. Unabhängigkeit war sein geheiligtes Privileg. Dienst an der Gesellschaft hätte bedeutet, sich selbst herabzuwürdigen. Eine öffentliche Kunstschule konnte ihm daher nur als Arbeitshaus erscheinen. Keine Einzelreform konnte daran etwas ändern. Die Doktrin der Freiheit der Kunst ist das fundamentale Dogma der Ästhetik des neunzehnten Jahrhunderts bis heute.

HD: Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums löst sich die Kunst also aus ihrer Bindung an Kirche und Hof. Als freies Subjekt kümmert der Künstler sich nicht mehr um den Geschmack des Publikums und er stellt in seinen Werken die Aussage, die gesellschaftliche Funktion, das WAS, hinter die schöne Form, das WIE. Gerade in dieser ästhetischen Funktionslosigkeit sieht das Bürgertum sein Selbstverständnis und Selbstbewußtsein repräsentiert. Legitimieren läßt sich die bürgerliche Kunstauffassung dabei durch zentrale Institutionen wie die Kunstakademien, welche die ihr geweihten Werke als höchste, einzig 'authentische' Kunst erklären: sie zum herrschenden Kunstverständnis, zum legitimen Kanon erheben. Entsprechend taucht auch der Bürger als Kunstkonsument und -besitzer auf und entwickelt eine Kunstrezeption, die ihren Geschmack in den neuen musealen Kunsttempeln beweisen kann. Und um die Kunstproduzenten herum entsteht allmählich die von Bourdieu beschriebene 'Kategorie Professioneller', welche einen Kunstbetrieb (Ausstellungen, Museen, Handel und Kritik) aufziehen, um aus dem Kult an der Kunst nicht zuletzt ein gutes Geschäft zu machen.

NP: Der Fürst im 18. Jahrhundert förderte die Akademie, weil er sie brauchte, der Staat im 19. Jahrhundert, weil er an die von Schiller, Goethe usw. gepredigte Heiligkeit der Kunst glaubte und an ihre kultivierende, verfeinernde Wirkung, während die Künstler die Ausbildung, die sie erfuhren, zum Teufel wünschten. Öffentliche Wohltäter fuhren also fort, Geld an Akademien zu geben und Werke von Künstlern zu kaufen, die sich von jeder sozialen Pflicht losgesagt hatten, und sich an der Kunst um der Kunst willen zu ergötzen. Wäre es da nicht auch von seiten des Staates sinnvoll, die Abschaffung von Akademien zu fordern, wenn diese doch nur egoistische Individuen mit dem Glauben ans eigene Genie hervorbringen?

SD: Gut, Herr Pevsner, wenn der Staat keinen Sinn in einer solchen Erziehung sieht, dann soll er sie eben abschaffen. Jedenfalls entstünde dann erstmal eine spannendere Situation: Private Kunstschulen würden entstehen und es würde wieder die Ausbildung in den Ateliers von Künstlern geben. Erfolgreiche Künstler würden so ihren Genius an eine ausgewählte Elevenschaft weitergeben, während sich erfolglose Künstler auf diese Weise das Taschengeld aufbessern könnten. Es gäbe sicherlich auch mehr von Künstlern selbst geschaffene Zusammenhänge, ähnlich den frühen Akademien, den ‘gelehrten Gesellschaften der Dilettanten und Amateure’.

HD: Ja, das könnte natürlich toll sein und den ganzen aufgeblasenen Kunst-  und Geniebegriffen ein Ende setzten. Auf der anderen Seite sehe ich aber ein soziales Problem, Akademien können auch als Unterschlupf oder Nischen für einige Jahre benutzt werden, um frei von immer rigider werdenden ökonomischen und gesellschaftlichen Zwängen ein kritisches und eigenständiges Bewußtsein überhaupt auszubilden. Aber es gibt natürlich auch die verschiedenen Medienansätze und interdisziplinären Methoden.

NP: Das hat natürlich seine Tradition in der 'Angewandten Kunst', von deren Hineinnahme in die Akademieausbildung wir schon einmal sprachen. Jetzt, zur Lösung des aufgezeigten Widerspruchs, in der staatlichen Kunst-um-der-Kunst-willen-Ausbildung spielte dieser Punkt eine wichtige Rolle.

England sah sich als erstes Land mit den verderblichen sozialen und künstlerischen Konsequenzen der beginnenden Industrialisierung und dem damit verbundenen Absterben des traditionell geschulten Handwerks konfrontiert. Schon bald schien eine bessere Ausbildung für industrielle Kunst in allen angehenden Industrienationen eine Frage von allerhöchster Dringlichkeit. Künstler schienen hier nicht kompetent genug, denn sie gaben sich ja schon damit zufrieden, ein kleines Modell für ein Denkmal anzufertigen und die ganze Steinarbeit einem Geist zu überlassen. Die 'Normal School of Design' scheiterte anfangs aufgrund organisatorischen Unvermögens, aber dann legten Laborde in Frankreich, Semper in Deutschland und Owen Jones in den 50er/60er Jahren des vorigen Jahrhunderts die theoretischen Grundlagen einer neuen Kunstausbildung: Kunstunterricht in den Volksschulen, Erziehung des Geschmacks von Fabrikanten, Künstlern und Publikum durch Publikationen und Kunstgewerbemuseen, die jetzt an allen Orten entstanden und häufig mit einer Schule kombiniert waren. Die akademische Ausbildung der herkömmlichen Art wurde abgelehnt, weil sie zu einem Überangebot an Künstlern führt. Statt dessen sollte die Unterweisung in den Bildenden Künsten und der dekorativen Kunst überhaupt nicht getrennt werden und in Werkstätten in einem Geist der Gemeinsamkeit erfolgen.

SD: Das Nazarenermodell.

NP: Und mehr. Der Begriff 'Angewandte Kunst' hatte es von vorneherein schwer: Die Künstler sahen auf sie als die 'Anwendung der bildenden Kunst auf die Notwendigkeiten des täglichen Lebens' herab. Derselbe verderbliche Hochmut schlich sich bei den Studenten der dekorativen und bildenden Kunst ein, die alle Künstler sein wollten und keine Handwerker, und die keine Ahnung hatten von den organischen Wechselwirkungen zwischen Material, Arbeitsprozeß, Zweck und ästhetischer Form, die dann William Morris wiederentdeckte. Auch seine Bewunderung galt dem Mittelalter, selbst sein Sozialismus war ein Resultat tiefster romantischer Veranlagung. Doch durch seine viel tieferen Einsichten in die sozialen Grundlagen mittelalterlicher Kunstausübung ging er weit über die Nazarener und sonstigen Nachahmungen des mittelalterlichen Formenschatzes hinaus. Schönheit entstand für ihn durch die Wechselbeziehungen der sozialen Bedingungen, wo der beste Künstler noch ein Handwerker und der bescheidenste Handwerker noch ein Künstler war. Die Architektur übernahm die Führung, und alle anderen Künste, auch die Malerei, waren bereit zu dienen.

HD: Aber Morris war doch kein Architekt, er eröffnete doch mal so einen Laden?

NP: 'Morris, Marshall and Faulkner - Feines Kunsthandwerk in Malerei, Schnitzerei, Möbeln und Metallarbeiten' - die Wiege der gesamten modernen industriellen Kunst! Hier gelang es Morris zum ersten Mal, einige der ersten Künstler Englands zu Entwurf und Herstellung von Gebrauchsgegenständen zu gewinnen. Damit hörte auch die Verachtung der 'Arts Not-Fine' auf.

SD: Schöner Name, aber diese Gegenstände waren doch sicher alle sehr teuer, da von Künstlern entworfen, also doch auch wieder sehr 'fein'?  Waren die auch handgefertigt?

NP: Das ist ein bißchen Morris' Problematik. Er sah in der industriellen Produktion ja alles Übel und hatte begriffen, daß das Entwerfen ohne wirkliche Kenntnis der Materialien und ihrer Verarbeitung ein Hauptproblem der Fertigung in der Fabrik war und zu purer Imitation von Stilen führte. Deshalb lernte er selber färben, weben und drucken. Andererseits machte dies die Produkte teuer, aber Morris erkannte nur selten die Diskrepanz zwischen seiner Theorie und seiner Arbeit, daß er nämlich eigentlich nur dem 'schweinischen Luxus der Reichen' diente.

HD: So darf man das nicht stehen lassen. Morris hat theoretisch und praktisch bewiesen, daß Kunst und Kunstausbildung nicht in einem selbstreferenziellen Ghetto der Salons verkommen muß und war wohl maßgebendes Stimulans für die 'Arts and Crafts'-Bewegung in England und für die Weiterentwicklung in Deutschland.

NP: Richtig. In Deutschland entdeckten die Künstler, daß ein universeller Stil, der mehr war als eine bloße Mode der Reichen, nur entstehen konnte, wenn man die Maschinen akzeptierte und die Entwürfe mit ihren Möglichkeiten in Einklang brachte. Logischerweise führte das weg vom Revival historischer Stile hin zur Schaffung bzw. Suche originaler Formen. Da zudem der Ausbildungsort Werkstatt weniger wichtig wurde, trat die Frage nach der richtigen Ausbildung des Künstlers/Designers in den Vordergrund.

SD: Aber doch nicht an den Akademien?

NP: Ääh.. zur Situation der KUNSTakademien gibt es nicht viel zu sagen. Die Studenten genießen die Ausbildung des 19. Jahrhunderts und hassen die Akademie nachdem sie sich plötzlich in einer Welt wiederfinden, die keine Verwendung für sie hat. Ohne Orientierung hält man sich dann an den Impressionismus oder entwickelt sich in Richtung des sonstigen, aktuellen Kunstgeschehens.

SD: Also im Westen nichts Neues, aber der erste Weltkrieg bringt dann die Wende?

NP: In der Tat! In einer revolutionären Gemütslage, die Deutschland dazu antrieb, tradierte Werte auf allen Gebieten in Frage zu stellen, wurde ein neues System der Kunstausbildung konzipiert und in die Praxis umgesetzt, das nicht nur alle progressiven Ideen der letzten 20 Jahre enthielt, sondern weit darüber hinaus ging.

SD: Hört, hört! ... ah, Entschuldigung!

NP: Ja, ich denke wirklich, die beiden Unternehmungen, die Fusion der beiden Berliner Hochschulen unter Bruno Paul und das Bauhaus von Walter Gropius in Weimar sind ohne Zweifel die wichtigsten Experimente der Kunstausbildung in unserem Jahrhundert.

HD: Dürfen wir aber die russischen VChUTEMAS und das amerikanische Ausbildungssystem nicht vergessen.

NP: Gleich. Walter Gropius war die Leitung der Kunstschule und der Kunstgewerbeschule in Weimar übertragen worden. Er reorganisierte sie und eröffnete sie wieder als einziges Institut unter dem Namen 'Staatliches Bauhaus'. Ein paar wichtige Punkte aus seinem später veröffentlichten Bericht 'Idee und Aufbau': Der Dualismus des 19ten Jahrhunderts, der das Individuum von der Gesellschaft trennte, ist im Schwinden begriffen. Es dämmert eine Ahnung von der fundamentalen Einheit aller Erscheinungen, die mit dazu beiträgt, die Doktrin von der 'Kunst um der Kunst willen' zu zerstören und den Weg für eine eigenständige zeitgenössische Architektur freizumachen. Ziel des Bauhauses ist 'der große Bau', der alle künstlerisch-kreativen Fähigkeiten und Kenntnisse der Realitäten von Material, Technik und Wirtschaft zu einer Einheit zusammenfaßt.

 Der Student durchläuft drei Stufen: Die sechsmonatige Vorbereitungsstufe indem er nach einer Methode von Johannes Itten mit dem gesamten Spektrum der Bauhausausbildung in seinen Grundzügen bekannt gemacht wird. Anschließend rückte der Schüler zur eigentlichen Werklehre auf, die drei Jahre dauerte. Gropius entwickelte für das Studium der Materialeigenschaften, Geometrie, Konstruktion, Modellbau und das Studium des Entwerfens entsprechend Volumen, Farbe und Komposition ein sinnreiches System, das modernen Schulunterricht  mit einigen Vorzügen der mittelalterlichen Praxis kombinierte. Jeder Schüler mußte sich auf ein Handwerk oder Gewerbe spezialisieren, das mit einer Prüfung vor der Handwerkskammer abgeschlossen wurde. Nur mit dem so erlangten Gesellenbrief konnte er in die dritte Stufe, die Baulehre, eintreten, wo er aktiv an Bauaufgaben mitarbeitete. Anonym und in echtem Gemeinschaftsgeist sollte der junge Künstler hier an der Schöpfung neuer Normen teilhaben, die als Anregung für Industrie, Schulen, Bühne usw. gedacht waren.

Obwohl dieses Programm, in einem leidenschaftlichen, fast expressionistischen Stil geschrieben, konnte Punkt für Punkt verwirklicht und mit Leben erfüllt werden, so daß das Bauhaus mit einer hervorragenden Mischung aus Kunst und Entwurf, von Jugend, Spannung und Erfolg für eine Reihe von Jahren einem Ideal der Kunstschule des 20sten Jahrhunderts nahe kam.

SD: Das ganze hielt aber nur ein paar Jahre?

NP: Lange genug, um sich als richtiges Modell zu beweisen. 1928, nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau, schied Gropius aus, sein Nachfolger, der Hannes Meyer, wurde 1930 entlassen, weil er eine Zeichnung zur ‘Roten Hilfe ‘ gegeben hatte, und 1932 löste die Regierung von Anhalt das Bauhaus unter Mies van der Rohe auf. Ansätze, als privates Institut in Berlin weiterzumachen, scheiterten an der finanziellen Situation. Dort, in Berlin, hatte Bruno Paul nach dem Krieg Überlegungen zur Exportsteigerung durch verbesserte Industrieprodukte angestellt. Es müßten Designer und Kunsthandwerker mit der denkbar besten Ausbildung ausgerüstet werden und gleichzeitig auf dem Gebiet der bildenden Kunst Genies ermutigt werden, da diese, als Schrittmacher der Kunstentwicklung im allgemeinen, ebenso ein beträchtlicher Teil der wirtschaftlichen Entwicklung seien. 1921 wurde die Kunstgewerbeschule mit der Kunstakademie zu den 'Vereinigte Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst' verschmolzen. Zu diesem Zeitpunkt und mit diesen zwei Modellversuchen, die in den nächsten Jahren mehrfach kopiert wurden, war Deutschland in der Entwicklung einer fortschrittlichen Künstlerausbildung weiter als irgendein anderes europäisches Land.

SD: Und dann kam Adolf mit einer ganz neuen Kulturpolitik, 'Blut und Bomben'....

HD: ...und wieder wurde die Akademie ein Werkzeug zur Legitimierung der herrschenden Politik: Inhalte und Strukturen wurden im Sinne einer ‘Arisierung der Kunst’ ausgetauscht. Alles was die nationalsozialistische Ideologie nicht bestätigte wurde unbamherzig ausgegrenzt und als “entartete Kunst” verfolgt.

SD: All diejenigen, die in ihrer kulturellen Produktion schon Jahre zuvor völkische und nationale Mythen und Ideen ausformuliert hatten, derer sich die Nazis dann bedienten, gewannen jetzt die Oberhand, gewannen Schüler und Gefolgsleute.

NP: Anfangs ja wohl nicht...

HD: Weswegen hielten Sie denn die Weiterführung Ihres Ansatzes unter diesem Regime noch möglich?

NP: Es braucht nicht wiederholt zu werden, daß ein totalitärer Staat auch bemüht sein muß, die Erziehung in den bildenden Künsten entsprechend bestimmten stilistischen Normen zu fördern, weil Künstler für die Propaganda im weitesten Sinne gebraucht werden. Andererseits ist es eine Tatsache, daß die Mehrzahl der progressiven Künstler, staatliches Eingreifen strikt abzulehnen scheint. Doch daran tragen wahrscheinlich die vielen Fehler die Schuld, die im 19ten Jahrhundert gemacht wurden.

SD: Das sind doch eher die Fehler, die immer wieder und vor allem in autoritären Staaten gemacht werden -

HD: Diktaturen machen keine Fehler, sie sind der Fehler! Es geht nicht an, Herr Pevsner, daß die Integration der Künstler in Staat und Gesellschaft unter allen Bedingungen zu fordern ist. Die Verantwortung für das Soziale kann gerade darin bestehen, sich gegen die gegebene Gesellschaftsform zu richten.

SD: Im Sinne ihrer These über die Trennung des Künstlers von seinem Publikum, findet ein linientreuer, solide ausgebildeter Künstler in einer Diktatur seinen gesicherten Platz in der Gesellschaft und auch sein Publikum. Da brauchen wir uns nur an die Stellung des Künstlers im Absolutismus erinnern.

HD: Richtig. Und von einer, von ihnen, Herr Pevsner, wahrscheinlich positiv und sozialistisch gedachten Verantwortung des Künstlers für die Gesellschaft und von der Gesellschaft für den Künstler, blieb nach dem Krieg nichts mehr übrig. Im Kalten-Kriegs-Szenario wurde das Genie (mit seiner staatlich garantierten Freiheit) das neue Künstlerbild als der erfolgreiche Repräsentant für die funktionierende freiheitlich-demo-kratische (und kapitalistische) Grundordnung. Eine ihrem Ansatz entsprechende, gesellschaftlich relevante Kunst wurde seit den 60er Jahren nun zur gesellschafts-kritischen, die sich ihre eigenen informellen und selbstorganisierten Strukturen schaffen muß,  während ihr Lieblings-Modell, das Bauhaus, lediglich strukturelles, nicht inhaltliches, Modell für Design- Angewandte- und Medien- Schulen wird. Legebatterien als Garant der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesdeutschen Wirtschaft.

NP: Ja, über das hätte ich mir noch ganz gerne Gedanken gemacht...

SD: ... leider sind Sie ja 1983 gestorben, aber ihr Buch haben sie doch Anfang der 30er Jahre geschrieben?

NP: Nach der Emigration nach England habe ich mich im wesentlichen mit formalen und enzyklopädischen Dingen beschäftigt.

SD: Und deswegen sind Sie geadelt worden?

NP: ???

HD & SD: Herr Pevsner, wir danken für das Gespräch.


[1] St. Just in ‘Dantons Tod’ von Georg Büchner 2.Akt, 7. Szene

[2] - un segno di dio in noi -.

[3] Die Veranstaltung von Zeichenkursen nach der Natur, auch das Aktzeichnen, war nur noch innerhalb der Akademie gestattet. Die Studenten der Akademie waren vom Wehrdienst befreit.

[4] Nikolaus Pevsner, “Die Geschichte der Kunstakademien” ISBN 3-88219-285-2

[5] Akademie von S. Luca 1670: "Die Akademie erkennt als vorrangige Aufgabe, die Geldgier der Wiederverkäufer zu zügeln, welche, da sie keine Maler sind, sondern Angehörige anderer sehr schändlicher und niederträchtiger Gewerbe, die ehrbare Kunst und Malerei mit häßlichen Machenschaften zu profanisieren gewagt haben..."

[6] Pierre Subeyran, Zeichenschule Genf, 1751: "Eine gewisse Kenntnis und auch Praxis in der Kunst des Zeichnens ist für den Unternehmer nicht weniger notwendig als für den Arbeiter".

[7] Schiller: "Könnt ihr Enthusiasmus erwarten, wo der Geist der Akademien herrscht?"

[8] Carstens: "Wann wird endlich die Tyrannei enden, die so viele Männer zu schlechten Bürgern macht, die jegliches Talent schon in der Wiege erstickt (...)?"

[9] Füssli: "Alle Malerschulen (...) sind Symptome einer notleidenden Kunst, Monumente öffentlicher Pflichtvergessenheit und eines Verfalls des Geschmacks."

[10] Anton Koch: “..ein stinkender Käse”, aus dem “ein unzählbarer Schwarm von Künstlern” kriecht, “wie eine Myriade von Maden”.

[11] C.D. Friedrich: “Bedeutet es wirklich einen Dienst an der Kunst, wenn unsere Akademiker sich abplagen, Unfähigkeit zu Mittelmäßigkeit aufzubauen? Ich glaube, nicht".

[12] Wackenroder: "Wer an ein System glaubt, hat die allumfassende Liebe aus seinem Herzen gerissen".

[13] William Morris: "Die übelste Versammlung von Snobs, Speichelleckern und Egoisten, die die Welt bis heute gesehen hat."

[14] William Blake: "Geschmack und Genie sind nicht lehrbar."