Interview
Da ist kein Weiterkommen.
Das hindert eher daran.
X ist Jahrgang 1966 und hat zwischen 1986 und 1992 in Düsseldorf
die Fächer Germanistik, Anglistik, Politologie und Philosophie
studiert. X lebt als freier Texter in Köln und möchte namentlich
nicht genannt werden.
X: Ich habe die Schule einfach so durchgemacht, das lief nebenbei.
Mein Vater wollte, daß ich Jura studiere, ein Hauptgrund, es nicht
zu tun. Dann war die Überlegung: Was machst du jetzt? Ich habe mich
erst im Immatrikulationsbüro mehr oder weniger willkürlich dafür
entschieden, Germanistik zu studieren.
J: Und wieso in Düsseldorf?
X: Weil ich halt daher komme. Die Uni dort ist komplett traditionslos,
weil sie erst im Zuge der Bildungsreform Ende der sechziger, Anfang der
siebziger Jahre aufgemacht wurde. Für mich hat sich das nach und
nach als Vorteil herausgestellt. In Köln ist das Germanistikstudium
ja sehr verschult, da wird ein vorher festgelegtes Curriculum durchgezogen,
Düsseldorf ist im Vergleich dazu sehr relaxt. Dort kommt es mehr
auf dein eigenes Engagement an.
J: Kunst-, kulturmäßig muß damals in Düsseldorf
ja mehr los gewesen sein als hier.
X: Wobei man Uni und Stadt trennen muß. Schon topographisch:
Düsseldorf hat, anders als Köln, eine kilometerweit vor der
Innenstadt gelegene Campusuniversität. Die Uni und das Leben, das
waren für mich zumeist Parallelwelten. Ich habe mit 16 angefangen
zu schreiben, Artikel für eine Stadtzeitung, und das Studium habe
ich eher verschwiegen. Uni, das hatte vor allem eine Alibifunktion gegenüber
meinen Eltern. Und zugegebenerweise auch gegenüber mir selbst. Trotzdem,
an der philosophischen Fakultät gab es ab Ende der siebziger Jahre
einige avancierte Typen, die neuere französische Theorie machten.
Da gab es z.B. Rudolf Heinz, der hat zunächst als einziger weit und
breit Deleuze/ Guattari- und Lacan-Exegese gemacht. Auch Manfred Frank
(heute: Heidelberg) und Jochen Hörisch (heute: Mannheim) haben sich
damals schon mit dem beschäftigt, was man dann später unter
Schlagworten wie Poststrukturalismus subsummiert hat.
J: War Lacan nicht eher unbeliebt unter den Studenten?
X: Das kann man so nicht sagen, weil ja kein Student gezwungen wurde,
sich damit auseinanderzusetzen. Man ging und geht dann einfach nicht hin.
Aber es ist natürlich so, daß solche Veranstaltungen von entschieden
weniger Studenten besucht werden, als Veranstaltungen mit traditionell-hermeneutischem
Überbau. Was die o.g. Dozenten und das Umfeld angeht, hat man übrigens
manchmal von einer "Düsseldorfer Schule" gesprochen.
J: Das war etwas für Spezialisten?
X: Ich kann das erst ab dem Zeitpunkt beurteilen, zu dem ich selbst
zu studieren begonnen habe, also ab 1986. Das war das Jahr, in dem das
Mainstream-Kulturfeld erstmals mit leichtverdaulichen deutschsprachigen
Readern zu diesem Themenfeld beliefert wurde, z.B. "Postmoderne"
von Huyssen/ Scherpe und "Poststrukturalismus und 'Neue Philosophen"'
von Schiwy, beide in der Reihe 'Rowohlt Enzyklopädie' erschienen.
Zu dieser Zeit war das natürlich auch schon partiell Thema des Feuilletons.
Partiell deswegen, weil sich da jeder nach Geschmack sein Ding rausgepickt
hat, und zwar mitunter buchstäblich nach Geschmack. "The Face"
hat z.B. zweimal, nämlich Mitte und Ende der achtziger Jahre, eine
Baudrillard-Geschichte drin gehabt, und das war es dann eben auch. Vor
diesem Hintergrund habe ich dann, als Schüler, zunächst auch
viel Baudrillard gelesen.
J: Du hast von Parallelwelten gesprochen. Warum gab es damals keine
Verschmelzung?
X: Ja, Hosen runter, seien wir ehrlich. Die wenigsten Leute im subkulturellen
Kontext hatten damals (also in der ersten Hälfte der achtziger Jahre)
davon Ahnung, auch wenn es heute mitunter anders dargestellt wird. Was
mich angeht, liegt mir Adornos "Minima Moralia" immer noch sehr
viel näher als jegliche französische Sache. Aber natürlich
ist Foucaults Untersuchung der Episteme ein großer Schritt. Vielleicht
ist das vergleichbar mit der Entdeckung des Tafelbildes als Thema der
Kunst, also grob gesagt das Spiegeln und Bewußtwerden der eigenen
Bedingungen.
J: Was du gerade erwähnt hast, hat sicher auch indirekt die ganze
Konzeptkunst beeinflußt.
X: Du meinst die "neue", die "kontextuell" operierende
Konzeptkunst?
J: Ja.
X: Philosophiegeschichtlich ist diese ganze Franzosensache meiner
Meinung nach mittlerweile abgehakt bzw. kanonisiert. Das finde ich auch
begrüßenswert. In den Staaten allerdings hat man sich damit
ausgiebiger und früher befaßt als hierzulande, und das hat
auch ganz eigene BIüten hervorgebracht.
J: Es hat auch hier ganz eigene Blüten entwickelt.
X: Ja, ganz üble beizeiten.
J: Warst du oder dein Umfeld an Uni-Reformen interessiert?
X: Nein. Mir ist aber hier auch wieder nur die Situation an der Uni
Düsseldorf im Zeitraum zwischen ca. 1986 bis '92 bekannt. Von der
Kunstakademie Düsseldorf dagegen weiß ich, daß sich da
schon Unmut geregt hat, vor allem unter dem Rektorat von Lüpertz.
An der Uni dagegen hängen die Leute nicht so drin, und der AStA arbeitet,
wenn überhaupt, höchstens mit pragmatisch kleinteiliger Zielsetzung,
etwa wenn es darum geht, die Preise für das Semesterticket (das ist
der Studenten-Fahrschein für Busse und Bahnen) nicht noch höher
steigen zu lassen. Abgesehen davon sind da viele Studenten, zumindest
im Fach Germanistik, nur Teilzeit-Studenten mit einem Job, der sie eher
mehr als weniger in Anspruch nimmt. Das Studium ist für die nicht
so wichtig.
J: Aber die meisten Leute, die schriftstellerisch arbeiten wollen,
gehen doch auf die Uni und studieren Germanistik?
X: Vielleicht. Aber andererseits fängt die Mehrzahl der Germanistikstudenten
dieses Studium keinesfalls mit der Absicht an, Schriftsteller oder so
was zu werden. Und das ist gut so. Denn Literaturwissenschaft ist Theorie
der Literatur, nicht deren Praxis.
J: Aber studiert haben doch fast alle, die schreiben.
X: Pro forma eingeschrieben waren und sind viele. Aber man kann sich
das ganze auch zu Hause erarbeiten.
J: Das gleiche gilt schon auch für die Kunst, aber trotz alledem
lernt man doch etwas auf der Akademie. Letztendlich gibt es kaum Künstler,
die nicht auf der Akademie waren.
B: Insoweit man überhaupt das Privileg hat, sich gegen einen
festen Job zu entscheiden, wenn man von der Schule geht, ist der Hauptgrund
zu studieren doch wohl für die meisten eher von wirtschaftlicher
Art. Deshalb triffst du in bestimmten Kreisen eben kaum Leute, die nicht
studieren. bzw. studiert haben. Das hat aber soziale Gründe.
X: Ich halte derzeit meinen Studentenstatus auch deswegen aufrecht,
um meine momentane Lebensweise, die sie begründenden Ideale und die
dazu nötige Arbeitsökonomie abzusichern. So etwas darf man natürlich
keinem Bildungspolitiker sagen.
J: Andere Frage: Warst du jemals von dieser Heidegger- Faszination
betroffen?
X: Passiv betroffen schon, selbst fasziniert nie. Das ist so eine
Anfixungssache. Das ist ein spezieller Phänotyp, der von Heidegger
fasziniert ist. Von dieser Sprache. Rhetorisch ist das natürlich
superinteressant. Ein permanent im Schwarzwald herumeiernder Pinsel, der
anderen und sich selbst nur die Wahl läßt, zwischen Seher und
Scharlatan zu entscheiden. Da fallen die Leute vor allem auf die hermetische
Eleganz der Sprache, auf die Geschlossenheit des Ausdeutungsuniversums
herein. Ich schätze Pierre Bourdieus Heidegger-Studie sehr. Mehr
fällt mir dazu im Augenblick nicht ein.
J: Hattest du was mit Leuten aus der Kunstakademie Düsseldorf
zu tun?
X: Ich war während des Großteils meiner Studienzeit ein
ziemlicher Kunstignorant. Heute interessiere ich mich eher für Angewandtes,
also für Design und Architektur. Bildende Kunst der Gegenwart interessiert
mich eher als Gegenstand von Theorie. Ich mag z.B. sehr gern die Schriften
von Fredric Jameson.
J: Wie würdest du das, was du "Kunstignorant" genannt
hast, beschreiben?
X: Desinteresse an bestimmten Kontexten der 80er-Jahre-Kunst. Desinteresse
am großkotzigen Malertum, das sich als dessen eigene Travestie ausgibt.
Desinteresse am Museum als Circus Roncalli. Desinteresse am Nachäffen
des Nachäffens eines bourgeoisen Gehabes. Hierarchien gibt es natürlich
überall, aber im Kunstkontext sind sie nach wie vor ziemlich plump
codiert. - Du wolltest jetzt noch etwas übers Schreiben wissen?!
J: Ja.
X: Schreiben ist für mich eher eine Qual. Heute sehe ich das
alles sehr funktional. Ein guter Text ist für mich möglichst
frei von Ornamenten. Ich bin ins Schreiben aber auch nur so reingerutscht,
ich mußte halt zu einem bestimmten Zeitpunkt meinen Lebensunterhalt
damit verdienen. Platten kaufen, nach England fahren, da macht man irgendwann
irgendwie so Jobs. Ich habe 82/83 angefangen, für diese Stadtzeitung
zu schreiben, da war ich gerade 16.
J: Hast du auch redaktionell gearbeitet?
X: Nein, bis auf wenige kurze Zeitabschnitte. Ich war ein großer
Musikfan und bin es, denke ich, teilweise immer noch, und ich kann mich
da besser rein knieen, wenn keine organisatorische Verpflichtung da ist.
Ich bin ins Schreiben halt zufällig reingerutscht,
J: O.K. Man rutscht in irgend etwas rein, aber wenn man dabei bleibt,
heißt das doch etwas.
X: Wir machen alle entfremdete Arbeit. Auch du als Künstler.
J: Das, was du als Entfremdung bezeichnest, würden viele im Kunstrahmen
unbewußt rechtfertigen als kommunikatives Instrumentalisieren der
eigenen Arbeit.
X: Hm. Um dazu etwas sagen zu können, bin ich zu weit draußen.
Was ich weiß ist, daß sich der Mensch mehr und mehr mit von
ihm produzierten Produkten zuscheißt, die nicht Scheiße im
wortwörtlichen Sinn sind, und an dieser Produktion (und zum größten
Teil auch an deren Konsumption) möchte ich möglichst wenig teilhaben.
J: Aber aus so einer Haltung entstehen doch meist neue Ansätze,
würde ich aus meiner Erfahrung behaupten.
X: Klar. Euphorie. Selbstreflektion. Harakiri. Oder zumindest der
Grundstein dafür.
J: Siehst du dich selbst als Künstler? Also nicht im Sinne von
Genie, sondern...?!
X: Ich schätze den Freiraum, den ich gegenüber den Leuten
habe, die morgens um 7 oder 8 zur Arbeit müssen. Aber ich sehe mich
weder als Künstler, noch als Schreiber. Ich habe keinerlei schöpferischen
Impetus.
B: Aber trotzdem hast du doch einen erkennbaren Stil.
X: Das ist gerade das Schlimme. Da wird man von sich selbst verfolgt.
Wenn man die Entwicklung seiner Handschrift beobachtet... du formst und
ornamentierst etwas Erlerntes immer weiter aus... aber das ist kein eigentliches
Weiterkommen, das hindert vielmehr daran. Ein Text sollte sich von selbst
so herunterspülen wie ein Getränk, das wäre das Ideal.
Die größte Selbstverständlichkeit der größte
Schmerz.
J: Aber obwohl du dem Schreiben pragmatisch gegenüber stehst,
sprichst du von Qual. Wenn ich das mit Kunst vergleiche, z.B. Hängung...
man versucht das normalste, und das gibt es eben nicht... subjektive Stilfindung?
X: Qual war vielleicht das falsche Wort. Es ist Arbeit, und ich arbeite
nicht gern.
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