Interview

mit Ralf Niemczyk

r:
Als Spex gegründet wurde, war ich 17 und machte ein Fanzine namens "Wellenreiter". Ich kannte die Spexler aus der Kneipe und fand das Blatt eigentlich doof. Was schon mal ein guter Ansatz war, meiner Ansicht nach. Dann hieß es aber, herumquatschen kann jeder, mach doch mal was. So hat es sich ergeben, daß ich die ersten Jahre Freund und Feind des Hauses, sprich Mitarbeiter, war. Geld gab es dafür übrigens keins. Bei der SPEX- GbR-Gründung 1985 war ich dann dabei, ab 1987 auch bei der Herausgeber GmbH, und Anfang ´95 bin ich aus dem Besitzerteam ausgeschieden.

j:
Ein Fanzine über Musik, nehme ich an?

r:
Hauptsächlich Musik, Punk, New Wave und darum, was im Hip-Hop heißt, etwas "on the map" bringen, also zu sagen: hier in meinem Umfeld gibt's auch was, was interessant ist. Man nahm zwar wahr, daß sich in Deutschland viel tat und es gab Zentren für ganz NRW zB Düsseldorf, Ratinger Hof, ca. 78/79. Nur hier in Köln existierte stattdessen diese Bessofski-Kultur, 60er Jahre Künstler, die an die Theke schifften, Zeltinger und der ganze Kram, altes Roxy etc., also entsetzlich. Wenn du damals 18 warst, gab es überhaupt keinen Neuansatz a la Düsseldorf. Erst nach und nach fanden sich die Leute, die genauso dachten. Die Stollwerck-Besetzung 1980 war da sehr wichtig. Unter dem vagen Oberbegriff PUNK kamen Figuren aus verschiedenen Stadtteilen zusammen, die zum Teil Musik machten und seltsame Projekte starteten. Ich übernahm den Chronistenjob, ganz einfach, weil er mir am besten von der Hand ging.

j:
Spex war damals zur Kölner Szene eine Art Gegenbewegung?

r:
Jo, auf jeden Fall, was diesen rheinischen Muff betrifft. Ich muß allerdings sagen, daß ich mit Kunst und so überhaupt nichts zu tun hatte. Das erschloß sich erst später über persönliche Kontakte. Peter Bömmels habe ich erst "als Mensch" kennengelernt und erst später dann als junger, wilder Maler. Und Jutta Koether war ja auch nicht von Anfang an dabei, das wuchs alles work-in-progress-mäßig zusammen. Die Stadt war ja überschaubar und klein. Der Blick ging überall hin nach London, Berlin etc. Nichts, was nichts mit Kölschrock bzw mit Kölschkunst zu tun hat. Diese Welt erschloß sich für mich sehr kulinarisch. Halt dadurch, daß verschiedene Bereiche von einer ähnlichen Aufbruchsstimmung erfaßt waren. Natürlich auch durch den ganzen Galerieboom. Neugier ist glaube ich das richtige Wort. Außerdem konnte man an vielen Freitagen schon um 6 Uhr ausgehen und Freibier trinken. Ich hatte grundsätzlich keinen Schimmer und gefiel mir Punkrocker-Jungs-mäßig darin Künstler doof zu finden.

j:
Warum?

r:
Wegen Äußerlichkeiten und einzelner Leute. Bevor ich einen Gesamteindruck hatte, kannte ich einige, die sich Künstler nannten, und die fand man doof. Also eine vollkommen unintellektuelle Herangehensweise. Das relativierte sich dann sehr schnell, ich rutschte da rein. Die Dia -Art-Foundation an der Bismarckstraße hat, ich glaube '82 dicht gemacht, da spielte noch einmal Mittagspause in Orginalbesetzung und Andreas Dorau. Oder auch die Mülheimer Freiheit, oder Bömmels, Spex Gründungsmitglied, waren dann schon eher Popkarrieren, und dadurch beeindruckend. Dahn veranstaltete die ersten Hip-Hop Parties ca. '81 in der alten Hinterhof-Garage in der Maastrichter Strasse. Ich habe da zum ersten Mal Hip-Hop in einer Party-Situation gehört. Und natürlich gab es damals viel mehr brachliegende Räumlichkeiten. Sie hatten eine wichtige Transmissionsfunktion zwischen den verschiedenen Lagern.

j:
In dieser Form in anderen Städten gab es das sicher kaum zu finden, diese Verbindung und diese Party zur Kunst.

r:
In anderen Städten, z.B. in Hamburg, sind Vernissagen natürlich viel beklemmender gewesen.

j:
Einige Jahre später. Als Renee Green die Ausstellung in Köln hatte, auch zu Hip-Hop und Übersetzung nach Europa, schrieb Spex (Nieswand) das gute Thema sei bei gelangweilten Vernissagenbesucher mit Sektflöten an der falschen Stelle. War da keine Transmissionsfunktion mehr?

r:
Sie ist zumindest geronnen. Sie wirkt bemühter, angestrengt, etwas mehr mit der Brechstange, vielleicht parallel zur Entwicklung in Spex. Der Diskurs und die Party entwickelten sich auseinander. Der Anlauf, den man nehmen mußte, um einen Zugang zu bekommen, war gewaltig. Aber diese Entwicklung kann man auch im Popdiskurs beobachten. Eine Zeitlang war alles nach außen hin offen und wurde dann zusehends hermetisch abgeschlossener. Man mußte sich aber auch mehr abgrenzen, um nicht vereinnahmt zu werden. Es gab immer so Schübe. ZB die Idee der Stadtzeitung wurde vereinnahmt, dann gab es Tempo und Wiener. Man könnte natürlich versuchen, den besseren Kommerz zu machen, oder aber man zieht sich aus gewissen Feldern zurück.

***

j: Die Biografien der Künstler sind anscheinend immer mehr von elitistischen, individuellen Ausschlußverfahren bestimmt, vor und nach der Akademie, wie wenn so ein Akademieleben weitergeführt werden müßte, auch wenn man dagegen arbeiten möchte, ist man schnell davon vereinnahmt. Bestimmt das die Biografien im Gegensatz zu anderen Bereichen kultureller Produktion.

r:
Die Kunstproduktion ist für mich immer am interessantesten, wenn ich Einblicke in den Entstehungsprozeß bekomme, nicht das "Solitärgebilde", das später an der Wand hängt. Im Popbereich wurden die Leute traditionell von anderen, von außen darauf aufmerksam gemacht, daß sie eigentlich Kunst produzieren. Dieser Mechanismus ist inzwischen erkannt, analysiert und letztlich zum Berufsbild tauglich. Die Intention als Nicht-Künstler Künstler zu werden, führt zu einem spaßig-cleveren Markt-Konformismus, bewußt oder unbewußt, mit dem Wunsch etwas Höheres zu produzieren.

j:
Für einige gilt eher, weg von der Galerie, dafür in Medien arbeiten.

r:
Ja, und ich sehe das als keinen neuen Brückenschlag, außer, daß sich die Medien ein neues Logo zulegen. Ich kann mir keine Biografie vorstellen, die ohne einen vollkommenen Bruch ...

j:
Bruch in dem Sinne, daß man ein individuelles Logo aufgibt?

r:
... kleiner Sprung. Du sprichst öfter von etwas Individualistischem ... das schafft auch genau dieses Schüler-von. Siehe Düsseldorf. Ich kann nicht verstehen, daß Leute gerade bei einer so hochindividualisierten Sache bei der Hand genommen werden wollen.

j:
Wie sah das bei deiner Universitätsausbildung aus?

r:
Germanistik in Köln, Englisch und Politik. Einerseits sehr Oberstufen-mäßig, Hofmannsthal, Deutsche Romantik und Schiller/Goethe, anderseits fand ich es total irre,wie sich erwachsene Professoren mit Innbrunst Stecknadelknopf-große Subprobleme der Büchner-Rezeption beackerten. Die Geisteswissenschaft in der Kölner Uni ist ein extremes Beispiel für sich einmauern in seinen Bereich. Ich weiss nicht, wer das noch vertreten kann, was da passiert. Andererseits, die Leute, die dann so radikal gegen die geisteswissenschaftlichen Unis sind, mit denen wilI man dann auch nicht zusammenarbeiten. Das ist dann die konservative Kritik, um Strukturen zu zerschlagen, die Radikalkur ...indem einfach Gelder gesperrt werden. Einfach den vordergründig unproduktiven geisteswissenschaftlichen Bereich veröden lassen. Speziell die Leute, die die Uni geöffnet haben, wollen das, das was sie einmal erreichen wollten - jeder muß die Möglichkeit haben etc. ... Mittlerweile geht es um die Bestandsicherung eines total absurden Bestandes.

j:
Gibt es dazu gerade für den geisteswissenschaftlichen Bereich auch einen neuen konservativen Einfluß, der gegen die Öffnung arbeitet?

r:
Die Frage ist, bemüht man sich auf nicht-konservativer Seite um einen elitären Ansatz, der dann auch wieder für Bewegung sorgt. Also, es gibt so einen frauenfeindlichen Ausdruck: "die Faltenrockfraktion", Leute, die direkt nach dem Abitur, man könnte es auch "die Kordhosenfraktion" nennen, Leute die sich recht fügsam anleiten lassen wollen. Sie wollen aber, mal abgesehen von ihrem individuellen Glück, nichts. An Unireformen sind die wenigsten interessiert. Genauso, wie die wenigsten im "Aussenbereich" aktiv waren, bzw sind.

j:
Reformbewegung wurde meist als sozialdemokratische Langeweile empfunden ...

r:
Ich glaube, daß alle Reformgedanken immer außerhalb verwirklicht wurden. Das brauchte sich nicht Reform zu nennen: "All das, was mich sonst noch interessiert, das mache ich draussen". Aber der Grossteil wollte nicht einmal was draussen machen, bzw ändern. Leute, die nicht einmal Akademiker waren, sondern bestenfalls Oberstufler. Zu einem Akademiker gehört gerade dieser Wahnsinn, sich auf einem winzigen Feld mit dem Lehrkörper zu messen, auch auf einem eher elitären Bereich.

j:
Gibt es denn Parallelen zu deiner eigenen Biografie, wenn du sie mit den Leuten auf den Unis heute vergleichst?

r:
Tja, also ich habe den Eindruck, daß sich zumindest in Köln die "Macher-Mentalität" verändert hat. Das 6-Pack nachts um halb 3 ist eine Abbildung davon. Irgendwie nett, irgendwie rauh, doch es passiert nix, stattdessen "Irgendwie-vielleicht,-könnte-man-ja-vielleicht". Eher als Diskurs getarnte Zauderei. Das mag eine typisch blöde Opa-Sicht sein, die Generationen vorher auch schon hatten, aber ich bilde mir ein, empirisch nachweisen zu können, daß die Innovations-Quote abgenommen hat. Nur ein Eindruck, vielleicht findet das ja wo ganz anders statt. Bemerkenswert auch, daß die Techno/House-Szene in in der Breite keinerlei Andockung an das sucht über das wir hier sprechen. Kunst und Intellektuelles wird nicht abgelehnt, sondern es steht überhaupt nicht zur Debatte, es ist ein ganz anderes Umfeld, obwohl man sich der gleichen Mittel bedient ... Fanzines, Flyer, nur funktioniert es anders, als in den 8Oern.

j:
Also auch ökonomisch anders...

r:
..die Widerstandsbewegung zu diesem Jünger-Wesen in der Akademie-Kunst will gar keine sein. Es werden keine Kanonen rübergeschossen, es entwickelt sich abgekoppelt und parallel. Rainald Goetz mal ausgenommen, der sich mit Haut und Haaren da reingestürzt hat und Sven Väth liebevoll die Koffer trägt. OK, es gibt Versuche einiger Labels in den bildungsbürgerlichen oder E-Bereich einzudringen. Doch grundsätzlich sind das grundverschiedene Welten. Wieso sollte ein Techno-DJ z.B. Diedrich Diederichsen in Frage stellen? Das hieße ja, daß er sich auf etwas einlassen würde, was ihn nicht die Bohne interessiert.

j:
Kritik an dem Jüngerwesen wird immer sehr liberalistisch gefunden.

r:
Ich finde es einfach nur faul. Der Output ist zumeist öde Nachbeterei auf vorformuliertem Terrain... es geht nur noch um systemkonforme Nuancenverschiebungen. Andererseits schaffen ironischerweise gerade die klassischen Institutionen/Akademien immer noch mehr "gute" Leute, als beispielsweise die marktorientierten Medien-Neugründungen, die bestimmte Fehler schon gar nicht mehr machen wollen. So gesehen, bräuchte man institutionell nichts zu ändern.


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