über nacht revolutionär
Wenn es darum geht eigene Erfahrungen in Zusammenhänge der Nachvollziehbarkeit
zu bringen, stellen sich immer Probleme der Übersetzung nach. Es
ist schließlich ja auch nicht immer zu verstehen, warum eine Mitteilungswut
seinen Adressaten - wenn es denn einen wirklich gibt - suchen (finden)
muß. Kann man diese Bedingungen zum Ausgangspunkt irgendeines wie
auch immer gearteten Inhalts machen? Oder sind s i e die Vorstellungen
aller, die im pool der kollektiven Erinnerung auf den jeweiligen Austausch
hoffen? Sind sie nicht Tendenzen einer Anpassung? Universitäten,
Akademien; Konventionen, Brüche, Widerstände, Autonomien, Subversionen.
Die Geschichte einer Anpassung ist gleichzeitig auch immer die Geschichte
einer Flucht aus subjektiv empfundenen, überkommenen Ordnungen. Selbst
das Moment der politischen Insurrektion nimmt sich dabei nicht aus, sollte
sie doch aus der Krise heraus, sich des passenden Zeitpunktes annehmen,
um die Zerstörung des bürgerlichen Staates hervorzurufen. herkommt und nirgendwo steht. Die einerseits-andererseits Prophetie.
Ohne eigene Interessen? Ohne eigene Positionen? Ist das die scheinbar
notwendige Konsequenz? Nichts hindert die Überzeugungen mit aller
Emphase zu vertreten und sich doch offen zu halten für deren Erschütterungen.
Als ein Freund zu einer Demonstration, die verboten wurde, trotzdem einmal
hinging. - Die Entlassung und bevorstehende Verhaftung einer seiner Professoren,
gemeinsam mit anderen, hatte einen Sturm des Protestes, des Widerstandes
ausgelöst. - Da wurde er beim Verlassen des Metro-Bahnhofs Republique
festgenommen. Seine Papiere seien in Ordnung, trotzdem, so sagte man ihm,
müßten seine Personalien überprüft werden. Nach einem
kurzen aber heftigen Wortwechsel, und das mißfiel der Demonstrantenpolizei,
stürzten sich drei Männer aus dem Rollkommando der CRS auf ihn,
stießen ihn um, verdrehten seine Arme, rissen an den Haaren seinen
Kopf in den Nacken und führten ihn, der in dieser Haltung kaum gehen
konnte, tief gebückt, die verbleibenden zehn Meter zu einem Bereitschaftsbus.
Und so saß er dann mit vielen anderen Jugendlichen in diesem Käfig,
zunächst zwei Stunden an der Place de la Republique. Der Wagen füllte
sich immer mehr, dann fuhren sie los, von einem Motorradfahrer eskortiert,
mit Blaulicht und Sirenen. Er bemühte sich, die Orientierung zu halten
durch die abendlichen Lichterstraßen von Paris, doch das gelang
nicht, und sein Zorn über die Festnahme wuchs, über die tatsächliche
Freiheitsberaubung, die ihm durch nichts gerechtfertigt erschien. Eine
halbe Nacht verbrachte er in der Arrestzelle des Bois de Vincennes, konnte
niemanden benachrichtigen, wartete ohne zu wissen, wie lange das dauern
würde, wurde von den Wachbeamten, wie alle anderen auf dem Weg zum
Klo, geschubst, gestoßen, angepöbelt. Die erkennungsdienstliche
Behandlung, das Photo, die Fragen, all das, der eigentliche Anlaß
zu dieser Festnahme also, dauerte nur wenige Minuten. Sehr spät am
Abend ließ man ihn frei. Um mehr als nur eine Erfahrung reicher,
voll ohnmächtiger Wut und Verzweiflung. E r j e d e n f a l l s h a t t e j e t z t e i n e n S t a n d p u n k t ! Jahre später im Untergrund las er eine Art Aufruf auf einem Plakat: "An die Großstädtischen Hinterhofartisten, die nichts haben und alles wollen, an die keiner denkt und die unaufgefordert für alle denken...", und weiter unten kaum noch leserlich, "Während im Dunkel sich glaubhafte Sprünge nicht leisten lassen, bezieht ein M e h r den W u n s c h nach Anpassung und Widerstand. Verwisch die Spuren".
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